Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

206 Zehnte Drdnung: Stoßvögel.

Wirbeltiere -aller Klaſſen und Kerfe der verſchiedenſten Art, Vogeleier, Würmer, Schne>en, Aas, Menſchenkot, ausnahmsweiſe auh Früchte bilden die Nahrung der Fangvögel. Sie erwerben ſih ihre Speiſe dur<h Fang der lebenden Tiere, dur<h Abjagen der von anderen Arten ihrer Sippſchaft gewonnenen und dur<h einfahes Wegnehmen der gefundenen Beute. Zum Fangen dienen die Füße, die deshalb „Fänge“ oder bei den Jagdfalken „Hände“ genannt werden; zum Zerſtückeln oder rihtiger zum Zerreißen der Nahrung wird der Schnabel verwendet. Kerbtiere werden au<h wohl unmittelbar mit dem Schnabel aufgenommen. Die Verdauung iſt äußerſt lebhaft. Bei denen, die einen Kropf beſißen, wird in ihm die Nahrung zuvörderſt eingeſpeichelt und teilweiſe bereits zerſebt; der ſcharfe Magenſaft thut das übrige. Knochen, Sehnen und Bänder werden zu Brei aufgelöſt, Haare und Federn zu Klumpen geballt und dieſe, die ſogenannten Gewölle, von Zeit zu Zeit ausgewürgt. Der Kot iſt ein flüſſiger, kalkartiger Brer, der als Strahl ausgeworfen wird. Alle Fangvögel können auf einmal ſehr viel freſſen, aber auh ſehr lange hungern.

Die Thätigkeit der Fangvögel iſt no< von einem anderen Geſichtspunkte, dem wichtigſten, zu betrachten: ihre Räubereien können uns nüglihe und können uns ſhadenbringende Tiere betreffen, die Vögel ſelbſt daher uns als ſchädliche oder nüßliche erſcheinen. Die Geſamtheit als ſolche dürfte als eine äußerſt nüßlichhe angeſehen werden können; einzelne dagegen fordern unſere Abwehr und ſelbſt mehr oder minder rückſichtsloſe Verfolgung heraus, weil ſie unter unſeren nüßlichen Tieren fürchterlih hauſen. Unmittelbar werden uns wenige Fangvögel nüglih: die Dienſte, welche die begabteſten unter ihnen uns leiſten, nahdem wir ſie eingefangen und abgerichtet, ſind uns wenigſtens niht mehr von nöten, und der Nugen, den die in Käfigen eingeſperrten uns bringen, iſt vielen unverſtändlih und deshalb für ſie niht vorhanden. Dagegen ſollten auch die beſhränkteſten Menſchen endlich einſehen lernen, wie unendlih Großes viele der ſcheel angeſehenen Räuber mittelbar für uns leiſten, wie ſie zu unſerem Vorteile arbeiten und ſi< mühen, um das verderbliche Heer der ſchädlichen Nager und Kerbtiere zu vernichten. Nicht bloß der Kranichgeier, welcher der Giftſchlange den Kopf zertrümmert, nicht bloß der Geier, der die Straßen der Städte Afrikas, Südaſiens und Amerikas ſäubert, ſind als unerſeßzlihe Vögel anzuſehen: auh auf unſeren Fluren und Feldern leben ſegenbringende Fangvögel, die Verehrung in höherem Grade verdienen als ſo manche „heilige“ Vögel. Sie zu ſhügen, zu erhalten, ihnen freie Bahn zu gewähren, iſt Pflicht des vernünftigen Menſchen.

Dieſem Nugen gegenüber erſcheint jeder andere, welchen die Fangvögel uns, d. h. den Menſchen, im weiteſten Umfange leiſten können, gering. Jhr Fleiſch iſt für uns ungenießbar, und Adlerfedern ſtehen eben nur bei Alpenjägern wie bei Fndianern oder Mongolen im Werte; die Dienſtleiſtungen einzelner Adler und Falken ſind ebenfalls unerhebliche zu nennen: in anderer Hinſicht aber können wir den gefangenen oder erlegten Fangvogel niht benugen. Er wirkt nur ſo lange für uns erſprießlih, wie er ſeine volle Freiheit genießt.

Außer dem Menſchen haben die Fangvögel wenige Feinde. Fhre Stärke oder ihre Gewandtheit ſhüßen ſie vor gefährlichen Gegnern. Auch ſie haben zu leiden von {hmaroßenden Quälgeiſtern, die ſi< auf und in ihrem Leibe anſiedeln, oder von dem Haſſe, den wenigſtens viele von ihnen verdienen: im allgemeinen jedoch leben ſie unbehelligt ein freies, ſ<önes Leben, ſolange der Menſch ihnen nicht entgegentritt. Ex iſt auh ihr gefährlihſter Feind.

Die Fangvögel ſondern ſi in die drei Familien der Falkenvögel, Neuweltsgeier und Kranithgeier, von welchen die erſteren die höchſtentwi>elten ſind. |