Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

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Wanderfalke: Verfehlte Angri)}e. Fortpflanzung. 231

ſih eine Höhe ausgeſucht hatte, die mindeſtens von einer Seite her ſhwer zugänglich war, wogegen man von der anderen Seite her auf ebenem Boden bis zum Horſte ſchreiten konnte, ohne irgendwie klettern zu müſſen. Hier, hart an einen Stein oder Erdklumpen gedrüdt, einmal auh vollkommen frei auf einem Vorſprunge, ſahen wir im Fuli und Auguſt die daunigen oder halbbefiederten Jungen anſcheinend ſo unbeſorgt zuſammenſißen, als gäbe 68 in der Tundra weder Eisfüchſe noh Wölfe. Bei uns zu Lande findet man im April oder Mai, zuweilen auh erſt im Juni, das vollſtändige Gelege, 3, höchſtens 4 rundliche, auf gelbrötlihem Grunde braun gefle>te Eier. Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der ſchon beſchriebenen Weiſe. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlih und ſuchen dur heftige Stöße jeden dem Horſte ſich nahenden Feind zu vertreiben. So wenigſtens beobahteten wir in der Tundra Sibiriens. Schon von ferne maten uns die Wanderfalken auf den Horſt aufmerkſam. Auf weite Streen flogen ſie uns entgegen, umkreiſten uns laut ſchreiend in hoher Luft, kamen um ſo tiefer herab, je mehr wix uns dem Horſte näherten, und ſtießen dann fortwährend auf uns hernieder. Das Schauſpiel, das fo geängſtigte Falken bieten, iſt im allerhöchſten Grade feſſelnd; denn ſie entfalten dabei alle Künſte des Fluges. Eben ſieht man ſie no< in ſ{hwindelnder, weit mehr als ſchußfreier Höhe ihre Kreiſe ziehen, plößlih aber die Flügel anlegen und nun ſauſend herunter bis auf wenige Meter an einem vorüberſtürzen, an der tiefſten Stelle angekommen, ihr Steuerruder in entſprehender Weiſe gebrauchen und ſih ohne Flügelſchlag wieder erheben, ſoweit die Kraft des Stoßes ſie treibt, dann wiederum mit einigen kurzen, raſchen Flügelſchlägen die vorherige Höhe erklettern, von neuem kreiſen und von neuem herabſtürzen. Zu wirklichen Angriffen entſchließen ſie ſih jedoh nicht, fommen einem auh niemals ſo nahe wie Habichte oder Möwen unter gleichen Verhältniſſen.

Die Jungen werden anfänglih mit halbverdautem Fleiſhe aus dem Kropfe geabt, ſpäter mit verſchiedenartigen Vögeln reichlih gefüttert, nah dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erſt, wenn ſie vollendete Fänger geworden ſind, ſich ſelbſt überlaſſen. „Jm Jahre 1872“, ſo ſchreibt mir Liebe, „Jah ih um ein Feldgehölz im Elſterthale ein Paar Wanderfalken kreiſen. Das Paar wurde bald der Schre>en für die im Gebiete heimiſchen Krähen. Jh beſuchte bei Gelegenheit meiner Aufnahme faſt täglich die Gegend und ſah na< 8 Tagen, daß der eine Falke allabendlich in jenes Gehölz kam, eine Viertelſtunde aufbäumte und dann von Zeit zu Zeit ſuchend über dem Thale auf und ab ſtrich. Meine Vermutung, daß das Weibchen weggeſchoſſen ſei, beſtätigte ſih niht. Nach einiger Zeit kam dieſes mit dem Männchen zur gewohnten Stunde zwiſchen 6—7 Uhr abends ins Gehölz und zwar in Begleitung zweier Jungen, die noch ſo unbeholfen waren, daß ſie beim Aufbäumen niht immer raſh das Gleichgewicht fanden. Nach kurzer Zeit ſtrichen die beiden Alten ab, um ſpielend gegen den Wind zu kreuzen: ein wunderbares Schauſpiel, das ih ſcon einmal in Norwegen und einmal hier von dem Männchen desſelben Paares hatte ausführen ſehen. Das Männchen zog bald davon, während das Weibchen ſeine prachtvollen Schwenkungen weiter ausführte, dabei den Jungen immer näher kam, bis es endlih in ſhrägem Stoße das eine vom Aſte abſtreifte, ob mit dem Flügel oder mit der Bruſt, konnte ih nicht ſehen, da mein Verſte> zu entlegen und mein Fernglas doch niht ſ{harf genug war. Das Junge mußte wollend oder nihtwollend fliegen und ahmte die Bewegungen der Alten unbeholfen genug nach, bäumte aber bald wieder auf. Darauf warf die Mutter das andere Junge vom Hochſiße herab und ließ es ebenſo wie das erſte fliegen. Nach kurzer Ruhe brachte ſie beide Junge auf einmal zum Arbeiten, flog dabei ſhräg gegen den Wind empor, ließ ſich eine Stre>e weit kreuzend treiben, ſhoß in prahtvollem Bogen ſenkre<ht nieder und wieder ſhräg empor und übte alle jene Künſte, welche zum Spiele gehören. Fndem die Jungen die Mutter zu begleiten ſuchten, ahmten fie täppiſch genug deren Gebaren