Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

232 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

nach. Da erſchien das Männchen wieder mit einer Dohle oder Krähe in den Fängen; die Familie fühlte ſi< aber dur< irgend eine Erſcheinung geſtört und ſtrih ab.“

Der Wanderfalke kann bei uns zu Lande nicht geduldet werden; denn der Schade, den er anrichtet, iſt ſehr beträchtlih. Wenn der ſtolze Näuber nur zu eignem Bedarfe rauben wollte, könnte man ihn vielleicht gewähren laſſen: er aber muß für eine zahlreiche Sippſchaft anderer Raubvögel ſorgen. Es iſt eine auffallende Thatſache, daß alle Edelfalken, wenn ſie ſich angegriffen ſehen, die eben gewonnene Beute wieder wegwerfen. Dies wiſſen die Bettler unten den Naubvögeln ſehr genau. „Da ſißen die trägen und ungeſchi>ten Geſellen“/ ſchildert Naumann, „auf den Grenzſteinen oder Feldhügeln, geben genau auf den Falken acht, und ſobald ſie ſehen, daß er etwas gefangen hat, fliegen ſie eiligſt herbei und nehmen ihm ohne Umſtände ſeine Beute weg. Der ſonſt ſo mutige, kühne Falke läßt, wenn er den ungebetenen Gaſt ankommen ſieht, ſeine Beute liegen, ſ{hwingt ſi<h mit wiederholt ausgeſtoßenem „Kja kjak‘ in die Höhe und eilt davon. Ja ſogar dem feigen Gabelweihen, den eine beherzte Glu>henne von ihren Küchlein abzuhalten im ſtande iſt, überläßt er ſeine Beute.“ Jn Nordoſtafrika ſind es hauptſächlich die Shmarogßermilane, die ihren Namen bethätigen. Ih ſelbſt habe geſehen, daß ein Wanderfalke binnen wenigen Minuten drei Enten erhob, alle drei dem unverſchämten Bettlergeſindel zuwarf und erſt mit der vierten unbeläſtigt davonflog. Man hat ſih bemüht, die Handlungsweiſe des Wanderfalken zu erklären und zu dieſem Behufe verſchiedene Annahmen verlautbaren laſſen. Nach Anſicht der einen ſoll der Falke den erwähnten Bettlern ſeine Beute überlaſſen, um unnüßes Aufſehen zu vermeiden, nah Anſicht der anderen ſih ihnen gegenüber zu {wach fühlen. O. von Rieſenthal, der die zweite Anſicht unterſtübßt, verſichert geſehen zu haben, daß die Bettler ſih niemals an den Wanderfalken gewagt hätten ſolange er fliegend ſeine Beute trug, vielmehr erſt erſchienen ſeien, wenn er ſie auf dem Boden ſißend zu kröpfen begonnen habe. Jh kann nur ſagen, daß ih den eigentlihen Grund des Verfahrens eines ſo kräftigen und ſtolzen Vogels nicht kenne, wohl aber, ſogar ſehr häufig, im Gegenſagze zu von Nieſenthal, geſehen habe, daß er auh, während er fliegend Beute davontrug, dieſe dem ihn umlagernden Bettlergeſindel zuwarf, und ih. muß ſomit, wenn ih eine Erklärung ſuchen ſoll, als allein wahrſcheinlih annehmen, daß ihm das Gebaren der bettelnden Raubvögel überläſtig wird Und er aus dieſem Grunde, im Vollbewußtſein ſeiner Raubfertigkeit ihnen die leiht erworbene und leiht zu erſezende Beute überläßt.

Dem nicht in Abrede zu ſtellenden Schaden gegenüber, ſpriht man dem Wanderfalken jeglichen Nugzen ab, und Jäger und Taubenzüchter ſehen in ihm einen ihrer ärgſten Feinde, deſſen Ausrottung jedes Mittel heiligt. Und doh möchte ih und mit mir jeder andere, welcher den ſtolzen Vogel jemals fliegen und rauben ſah, ihn nimmermehr miſſen; denn er iſt eine Zierde unſerer Wälder und Fluren. Jn ſeinem Auftreten paaren ſih Kraft mit Gewandtheit, Mut mit Unternehmungsſinn; ſizend wie fliegend feſſelt er jeden Beobachter. Jhn der Schonung empfehlen zu wollen, würde mi<h mit allen Fägern und Taubenliebhabern verfeinden; gleihwohl darf ih niht unterlaſſen, erſtere darauf aufmerkſam zu machen, daß man unſeren Falken in England mit anderen Augen zu betrachten beginnt, als dies früher der Fall war. Auch dort war jedes Jägers Hand über ihm, und alle Mittel zu ſeiner Vertilgung wurden angewandt, vom Tellereiſen auf dem Horſte bis zur Krähenhütte, vom Gewehre bis zur Schlinge herab; es gelang auch den vereinten Anſtrengungen, ihn in einzelnen Fagdgebieten wenigſtens während der Brutzeit gänzlich zu vertreiben. Seitdem aber bemerkte man eine mehr und mehr um ſi greifende, ſeuhenartige Krankheit der ſo jorglih geſhonten Rauhfuß- und Rebhühner und iſt auf den Gedanken gekommen, daß dieſe bis dahin nicht beobachtete Seuche wohl eine Folge der unerbittlichen Ausrottung des Wanderfalken ſein könne. Durch die Vernichtung des leßteren erleichterte man den geſhüßten