Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Baumfalke: Beutetiere. Naubweiſe. Fortpflanzung. 41

flog er hinter dem Käfer her, aber dieſer bog zufällig auf die Seite aus und näherte ſich der Erde, ſo daß der Vogel die Jagd auf ihn aufgeben mußte. Man ſah es recht deutlich, daß ihm die zum Fange der Käfer notwendigen Eigenſchaften, ein weiter Rachen und ein Flug, der keinen ſtarken Luftzug bewirkt, fehlen; einem Ziegenmelker wäre dieſer Käfer ſ{<werli<h entgangen.“

Da dem Baumfalken erſt der Spätfrühling und Frühſommer, nachdem die kleinen Vögel bereits ausgeflogen ſind, ſo reihlihe Beute gewähren, wie er für ſeine begehrlichen Jungen herbeiſchaffen muß, ſchreitet er niht vor Mitte Mai, meiſt im Funi und nicht ſelten erſt Ende Juli zur Fortpflanzung. Der Horſt ſteht auf Bäumen, im Gebirge auh auf Felſen und in der Steppe jedenfalls hier und da auf dem Boden. Jm erſteren Falle benußt der Falke regelmäßig ein altes Krähenneſt zur Grundlage ſeines Horſtes; doh geſchieht es wohl auh, daß er dieſen vom Grunde auf aus dürren Reiſern erbaut und inwendig mit Haaren, Borſten und Moos auskleidet. Die 4—5 Eier haben längliche, ausnahmsweiſe auh rundliche Geſtalt, ſind 40—43 mm lang und 82—83 mm di> und auf weißlihem oder rötlihem Grunde mehr oder minder dit mit ſehr feinen, ineinander verſ<hwimmenden gelbrötlihen Unter- und deutlicheren und mehr geſonderten rotbräunlichen Oberfle>en gezeichnet, einzelne ſo dicht, daß ſie faſt ziegelrot oder graubraun erſcheinen. Von den Turmfalkeneiern unterſcheiden ſie ſih dur ſtärkere, weniger glänzende Schale und anſehnlichere Größe. Das Weibchen brütet ungefähr 3 Wochen lang, wird aber währenddem vom Männchen gefüttert. „Sobald dieſes mit einem gefangenen Vogel oder Käfer in die Nähe des Horſtes kommt“, ſagt mein Vater, „erhebt es ſeine laute Stimme, verläßt den Horſt, fliegt ſeinem Männchen ſchreiend entgegen und verzehrt die Beute im Horſte.“ Erlegt man im Anfange der Brutzeit das Männchen, ſo fliegt das Weibchen augenbli>lich aus, um ſi< ein anderes Männchen anzupaaren, erreicht ſeinen Zwe> au meiſt ſchon in den erſten Tagen. Stevenſon berihtet von einem Weibchen, das erſt zur Brut gelangte, na<dem man ihm dreimal das Männchen weggeſchoſſen hatte, und das genötigt war, einmal ſi< mit einem jungen, no< unreifen Männchen zu verbinden. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlich, verlaſſen ſie nie und verteidigen ihren Horſt gegen jeden Feind, ſtoßen auh mit unvergleichlihem Mute auf den den Horſt erklimmenden Menſchen, bis auf Meterweite am Haupte des gewaltigen Feindes vorüberfliegend. „Wir ſahen“, erzählt Naumann, „den einzigen Jungen einer verſpäteten Brut, ehe er noch fliegen konnte und auë dem Horſte geſtürzt war, unten am Fuße eines Baumes ſißen; er wurde von den Alten mit Futter verſorgt, die auh dann nicht davon abließen, als wir ihn ein paarmal, doh vergeblih, wieder inden Horſt hatten ſezen laſſen.“

Wie groß die Anhänglihkeit der Eltern an ihre Jungen iſt, geht aus folgenden Beiſpielen hervor. Als Briggs einen Baumfalkenhorſt beſtieg, um ſih der Jungen zu bemähtigen, wurde er zunächſt mit lautem Geſchrei der beiden Eltern begrüßt und dann in der erwähnten Weiſe fortwährend angegriffen. Glü>lih mit ſeiner Beute wieder auf dem Boden angelangt, beſ<hloß der Neſträuber, auch die Alten zu erlegen, ſeßte zu dieſem Behufe die Jungen auf ein benachbartes freies Feld, ſtellte fi<h in der Nähe auf und mate ſich zum Schuſſe fertig. Kaum vernahmen die alten Baumfalken das Geſchrei ihrer Jungen, als ſie wiederum erſchienen und von neuem zum Angriffe ſchritten; dies aber geſhah von einer ſo bedeutenden Höhe aus und mit ſo außerordentliher Schnelligkeit, daß Briggs niht im ſtande war, einen Schuß abzugeben. Nach wiederholten Störungen der horſtenden Baumfalken exfährt man, daß ſie, ebenſo wie Kolkraben, mit bemerkenswerter Liſt und Klugheit ihre Jungen mit Futter verſorgen, ohne ſih ſelbſt unvermeidlihem Tode auszuſeßen. Sie erſcheinen mit dem gefangenen Vogel in den Fängen, kreiſen über dem Horſte, halten einen Augenbli> ſtill und laſſen den Vogel auf den Horſt hinabfallen. Erlegt man

Brehm, Tierleben. 8. Auflage. PVT. 16