Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

242 Zehnte Drdnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel,

das Weibchen, ſo übernimmt das Männghen allein alle Mühwaltung der Aufzucht der Jungen und ſ{leppt unverdroſſen vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein in reihlicher Fülle Aung herbei. Anfänglich erhalten die jungen Baumfalken größtenteils wohl Kerbtiere, namentlih Libellen, Heuſchre>en, Brach- und andere weihhäutige Käfer, ſpäter kleine Vögel verſchiedenſter Art, insbeſondere Lerchen und Schwalben. Jm Anfange wiſſen ſie noh niht re<ht mit den ihnen gebrahten Vögeln umzugehen und laſſen ſie nicht ſelten von den hohen Bäumen, auf welchen ſie ihre Mahlzeit halten, herabfallen; ſpäter zerlegen, zerfleiſhen und verzehren ſie die ihnen gebrachte Beute ebenſo geſchi>t wie raſh. Sind ſie ſo weit erſtarkt, daß ſie kleine Ausflüge unternehmen können, ſo treiben ſie ſih in der Nähe des Horſtes umher, verſuchen ihre Fittiche und ruhen nah kurzem Fluge bald auf dem Rande des Horſtes, bald auf benahbarten Bäumen, machen auch wohl ſchon auf eine erſpähte Heuſchre>e oder ein kleines Vögelchen Jagd.

Noch lange aber ſind die Eltern ihre wirklihen Ernährer. Fernſichtigen Auges ſchauen ſie von ihrer Höhe aus dem Treiben der Alten zu. Freudengeſchrei, das ſie ebenſogut zu deuten wiſſen wie jeden anderen Laut ihrer Erzeuger, verkündet ihnen, daß leßtere im Fange. glü>li< waren Augenbli>li< antworten ſie, ſhwingen ſich in die Luft und fliegen den Eltern entgegen. Wenn der futterbringende Alte und der zuerſt bei ihm angekommene Junge ſich faſt berühren, nimmt jener den gefangenen Vogel aus den Fängen in den Schnabel und reiht ihn ſo dem geliebten Fungen dar, der ihn mit dem Schnabel ergreift, hierauf in ſeine Fänge nimmt und nunmehr dem ſicheren Wohnorte zuträgt, woſelbſt ex ihn auf einem hohen Baume verzehrt. Der gefällige Alte pflegt ihn dorthin zu begleiten, bald aber von neuem ſeine Jagd wieder aufzunehmen, um neue Beute herbeizuſchaffen. Unter Umſtänden währt ſolches Wechſelſpiel bis in die tiefe Dämmerung fort; denn mit dem ſcheidenden Tage ermuntern ſih die Kerbtiere, und damit wird es den Alten leicht, wenigſtens Kleinwild zu erjagen. Sind die Fungen ſo weit im Fluge geübt, daß ſie ihren Eltern auf weiterhin folgen können, ſo beginnen dieſe den in der Einleitung bereits flüchtig geſchilderten regelrehten Unterricht, um die getiebten Kinder zur Selbſtändigkeit vorzubereiten. Rufend und ſchreiend fliegen beide Eltern in die Luft hinaus, rufend und ſchreiend folgt ihnen die junge Geſellſchaft. Anfänglich ziehen jene in verhältnismäßig langſamem und einfahem Fluge dahin; bald aber beginnt der eine von ihnen allerlei Shwenkungen auszuſühren, der andere thut dasſelbe, und die Jungen folgen, anfänglih erſichtli<h ungeſchi>t, im Verlaufe der Zeit aber mit einer von Tag zu Tag ſich ſteigernden Gewandtheit. Eine Beute kommt in Sicht und wird raſh gefangen, entweder von einem Alten allein oder unter Mithilfe des zweiten. Sofort nah dem Fange erhebt ſih der glü>liche Jäger hoch in die Luft, überſteigt die Schar der Jungen und läßt nun die Beute fallen. Sämtliche Jungen verſuchen ihr Geſhi> und alle ſtürzen gemeinſchaftlih unter lautem Schreien dem fallenden Vogel nah. Gelingt es einem, ihn zu ergreifen, ſo trägt er ihn, niht immer unbeläſtigt dur<h die anderen, einem geeigneten Baumaſte zu, um ihn hier zu verſpeiſen; fehlen alle, ſo ſtößt der unter den Kindern einherfliegende zweite Gatte des Paares auf den Vogel, fängt ihn und ſteigt nun ſelbſt über die Jungen empor, um das alte Spiel zu beginnen. So währen Lehre und Unterricht 8, 14 Tage, vielleiht auh 3 Wochen fort, bis die Jungen hinlänglih geübt ſind, um ſih auf eigne Fauſt ihr tägliches Brot zu erwerben. Damit iſt dann auh in der Regel die Zeit der Abreiſe gekommen, und alt und jung zieht, meiſt no< gemeinſchaftli<h, der Winterherberge zu, bereits getrennt aber im nächſten Frühjahre wieder heimwärts.

Auch der Baumfalke richtet niht unbedeutenden Schaden an. Lenz re<hnet ihm nah, daß er jährlih mindeſtens 1095 kleine Vögel vertilge. Dafür iſt er der liebenswürdigſte Hausgenoſſe, den wir aus ſeiner Familie gewinnen können. „Jh habe“, ſagt mein Vater,