Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Baumfalke: Erziehung der Jungen. Zähmbarkeit, Gefangenleben. 248

„nie einen Vogel gehabt, der mir mehr Freude gemacht hätte als mein zahmer Baumfalke. Wenn ich vor dem Stalle, in welchem er gehalten wurde, vorüberging, ſchrie er, noh ehe er mich ſah, kam nah der Thür geflogen, nahm mir einen Vogel ab und verzehrte ihn. Ging ih in den Stall, ſo ſete er ſih mir auf die Hand, ließ ſih ſtreicheln und ſah mi<h dabei mit treuherzigen Blicken an. Trug ich ihn in die Stube und ſebte ihn auf den Tiſch, ſo blieb er hier ruhig ſißen, verzehrte auh wohl in Gegenwart fremder Leute einen ihm dargereichten Vogel mit der größten Behaglichkeit. Wenn man ihn ne>te oder ihm den Raub abnehmen wollte, zwi>te er mit dem Schnabel, verwundete aber nie mit den Fängen. Wer dieſen Falken ſah, hatte ihn gern und freute ſih, ihn zu liebkoſen. Niemand wird es bereuen, einen Baumfalken gefangen zu halten. Er kennt ſeinen Herrn, weiß deſſen Liebe zu ſ{häßen und ſcheint ihm dur ſeinen Bli>k dafür zu danken.“

F< kann dieſe Angaben meines Vaters nur beſtätigen. Die Baumfalken, die ih gehalten, haben auh mir ſtets die größte Freude bereitet, weil ſie mir mit wahrer Liebe zugethan waren. Freunde von mir haben dieſen Vogel ohne Mühe zum Aus- und Einfliegen gewöhnen können. „Mit dem, was der Altmeiſter, Vater Brehm, über den Baumfalken geſagt“, fügt Liebe Vorſtehendem hinzu, „hat er jedem Naturkundigen, welcher ſich einmal die Mühe gegeben, einen jungen Baumfalken gut aufzuziehen, aus dem Herzen geſprochen. Dieſe Tiere halten ſi in der Gefangenſchaft, wohl wegen ihres harten, glatten Gefieders, ſhmu>er und ſauberer als irgend ein anderer Tagraubvogel und werden ſo außerordentlih zahm, daß ſie ihre Räubernatur vollkommen abgelegt zu haben ſcheinen. Wären ſie niht zu ſchwierig zu geſunden Tieren aufzuziehen, ſo würden ſie ſich beſſer als eine andere Art unter allen mitteleuropäiſchen Verwandten zu Stubenvögeln eignen. Hat man bei der Aufzucht eines jungen Baumfalken weniger die möglichſt weit geförderte Zähmung als vielmehr ſeine kräftige Entwidelung im Auge, ſo iſt es geraten, ihn ſpät aus dem Horſte zu heben, etwa zu der Zeit, wo ihn die Ausbildung der Schwingen ſchon vor einem ſ{hweren Falle zu hüßen vermag, ihm thunlichſte Freiheit zu gewähren und ihn mit halb gerupften jungen Vögeln zu füttern; will man aber einen harmloſen Stubenvogel aus ihm gewinnen, ſo iſt eine weit frühzeitigere Aushebung rätlih, und dies gerade macht gute Aufzucht ſehr ſchwierig. Feingeſchnittene Streifen Rindfleiſch, abwechſelnd mit Grillen, Heuſchre>en und anderen Kerbtieren, die vorher der Beine, Köpfe und Flügel entledigt wurden, ſowie Mehlwürmer und, jedo<h nur im Notfalle, ſogar Ameiſenpuppen bilden die tägli dreimal zu reihende Mahlzeit und fein zerſtampfte weihe Knochen und Federchen das notwendige Gewürz dazu. Dabei hat man ſich ſorgfältig vor Überfütterung zu hüten und jeglihen Zug abzuhalten. Troß aller Sorgfalt werden bei ſolher Pflege doh no<h einzelne Vögel knochen- oder lungenkrank; andere aber gedeihen trefflih, werden kräftig und dabei do< außerordentlih zahm und gutmütig. Sollen ſie weiterhin geſund bleiben und an Flugluſt nichts einbüßen, ſo muß man ſie täglich in einem großen Zimmer ſi ein wenig ausfliegen laſſen, wozu man ſie erforderlichen Falls einfah dadurch nötigt, daß man ſie auf die Fauſt nimmt und lettere ſ{<hnell abwärts bewegt. Man braucht dabei nicht zu fürchten, daß ſie die Fänge einſchlagen. Sie benehmen ſi ſtets ſehr manierlih und verletzen ihren Pfleger nie. Denn ſie wiſſen ihn wohl von anderen Menſchen zu unterſcheiden und eilen ihm, wenn ſie Hunger haben oder geliebkoſt ſein wollen, gern von weitem entgegen. F< habe dergleichen vollkommen flugfähige Falken frei auf der Fauſt in den Garten, in Abendzirkel, ja ſogar des Nachts zu Vorleſungen vor größeren Verſammlungen getragen, ohne daß es ihnen beigefommen wäre, abzufliegen oder ſi<h überhaupt nur unbehaglich oder gar ängſtlih zu gebaren. Sie ſpazierten oft genug bei Tage wie des Abends zwiſchen meinen ſehr zahlreichen fleinen Vögeln umher und flogen dabei gelegentli<h auf ein Gebauer, ohne irgendwie Fagd- und Raubgelüſte zu zeigen. Jch habe ſie freilih au<h, nahdem

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