Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Turmfalke: Raubweiſe. Fortpflanzung. Nüglichkeit. 253

Fungen mundgere<ht zu zerlegen oder vorher noch im eignen Kropfe für die Verdauung vorzubereiten. Sind die Jungen dagegen ſhon mehr erſtarkt, vielleicht bereits flugbar geworden, dann übt es treulihſt Vaterpflicht, auh wenn die Mutter dur< Zufall ums Leben fommt. Beide Eltern lieben ihre Brut mit der warmen Zärtlichkeit aller Naubvögel und beweiſen dem Menſchen gegenüber außerordentlihen Mut. Als mein Vater als zehnjähriger Knabe einen Turmfalkenhorſt beſtieg, um die Eier auszunehmen, flogen ihm die beiden Alten ſo nahe um den Kopf herum, daß er ſich ihrer faum erwehren konnte; als ein an- | derer zwölfjähriger Knabe dasſelbe verſuchte, erſchien das alte Weibchen, nahm ihm die Mügße vom Kopfe und trug ſie ſo weit fort, daß ſie niht wieder aufzufinden war.

Die bevorzugte Beute des Turmfalken bilden Mäuſe, nächſtdem verzehrt er Kerbtiere. Erwieſenermaßen frißt er auh kleinere Vögel, falls er ſie befommen fann, und es mag ſein, daß er die Brut manchen Lerchen- oder Pieperpaares ſeinen Jungen zuträgt; ih halte es ebenſo niht für undenkbar, daß er dann und wann ein junges, eben geſeßtes Häschen auffindet und abwürgt, und erinnere mich endlih der bemerken8werten Beobachtung meines Vaters, daß ein Turmfalke einem laufenden, ausgewaſenen Haſen nahflog, aus einer Höhe von wenigſtens 20 m auf ihn hinabſtieß, ſich zweimal wieder emporſhwang und zweimal aus gleiher Höhe mit ſolcher Kraft auf Lampe herabſtürzte, daß die Haare ſtiebten: ihn deshalb aber zu den ſchädlichen Vögeln zu zählen und zu verfolgen, anſtatt ihm den vollſten Schuß angedeihen zu laſſen, iſt ebenſo unrecht wie thöriht. Mit Befremden muß jeder, welcher den Turmfalken beobachtet, erfahren, daß O. von Krieger, der unſere deutſchen Raubvögel recht gut kennt, ſich dahin ausſprichht, daß er grundſäßlich keinem Raubvogel Schonung gewähre, und dem Turmfalken, weil ex geſehen habe, daß dieſer Lerchen, Bachſtelzen und Rotkehlchen wegfing und dem Horſte zutrug, ebenſo unerbittlich nacſtelle wie jedem anderen gefiederten Räuber. Erkenntnis des Seins und Weſens, des Thuns und Treibens unſeres Turmfalken, Abwägung des Nußens und Schadens dieſes Vogels oder ebenſo Würdigung unſerer Land- und Fotſtwiſſenſchaft ſind für folhe Anſhauungen nicht maßgebend geweſen, und von Krieger wird deshalb wohl unter Schüben, nimmermehr aber unter Naturforſchern, Land- und Forſtwirten Anhänger finden. Wer den Turmfalken kennt, weiß, daß er zu unſeren nüßlihſten Vögeln zählt und unſeren Feldern nur zum Segen gereiht, mag au< dann und wann ein Häschen oder Rebhuhn von ihm weggenommen werden.

Jc habe viele Horſte des Turmfalken beſtiegen, den Vogel ein Menſchenalter hindur<h in drei Erdteilen beobachtet und erachte mi deshalb vollkommen befähigt, über ihn ein eignes Urteil abzugeben. Aber ih ſtehe hierbei niht allein. Alle wirklichen und vorurteilsfreien Beobachter ſprechen ſi< genau in demſelben Sinne aus wie ih. „Sein Schade iſt gering“, ſagt mein Vater, „denn er frißt wenige Vögel; der Nuten abex, den er dur Vertilgung der Mäuſe ſtiftet, ſehr groß.“ Jn gleicher Weiſe äußert fih Naumann: „Der Turmfalke zerſtört zwar viele Bruten der kleinen Vögel, vorzüglih der Lerchen; allein er verzehrt eine noh weit größere Anzahl Feldmäuſe und wird dadur< ſehr nüglich; auh verſpeiſt er ſo manches ſchädliche Kerbtier, z. B. Heuſchre>en, Feldheimchen und dergleichen.“ Nicht minder deutli ſprit ſi< Gloger aus, obwohl ex alle Übelthaten des Turmfalken gewiſſenhaft aufzählt, ihn beiſpielsweiſe des Eierraubes beſchuldigt: „ZJhre Nahrung macht, daß dieſe Raubvögel bei ſehr geringem Nachteile für den tieriſchen, einen ſehr anerkennenswerten Nugzen für den menſchlichen Haushalt ſtiften.“ Nachdrüklih nimmt ſih E. von Homeyer ſeiner an: „Die Rötelfalken gehören zu den allernüßlichſten Vögeln, indem ihre Nahrung, ſoweit ih es habe beurteilen lönnen, ausſhließli< aus Mäuſen, Käfern, Libellen, Heuſchre>en 2c. beſteht. Soviel ih mi< im Freien bewegt und ſo oft ih unſeren Turmfalken beobachtet, habe ih do< nie geſehen, daß er cinen Vogel gefangen, ja verfolgt hat.