Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

274 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

deren Tölpelhaſtigkeit ihnen geſtattet, ſih ſtets rechtzeitig eines Futterbro>ens zu bemächtigen, und deren achtunggebietende Stärke ſie von Hauſe aus vor Angriffen bewahrt. Wind und Wetter fechten ſie wenig an; doh verlangen auch ſie, wenn ſie ſi<h auf dic Dauer wohlbefinden ſollen, einen geſhüßten Raum, nah welchem ſie ſih zurückziehen können, wenn es ihnen beliebt. Zwar ſicht man ſie ſelbſt bei der ſtrengſten Kälte oder im heftigſten Winde auf den höchſten Zweigen ihres Fluggebauers ſißen, bemerkt aber ebenſo, daß ſie ſih zuweilen förmlich verkriechen, offenbar nur, um ſih vor ungünſtigen Witterungseinflüſſen zu hüten. Wie unbehaglih ihnen naßkalte Witterung oder Regen iſt, geht aus ihrem Betragen klar hervor. Während ſie bei Sonnenſchein ſi<h bewegen, oft und viel ſchreien, ſigen ſie bei Regenwetter lange Zeit auf einer Stelle, ohne ſi< zu rühren, und ſehen dann ungemein verdroſſen aus. An die Nahrung ſtellen ſie geringe Anſprüche. Fede Fleiſchſorte iſt ihnen re<t, und Haare und Federn gehören wenigſtens nicht zu ihren unabweislihen Bedürfniſſen. Dagegen verlangen ſie unter allen Umſtänden viel und reines Waſſer, um nach Belieben trinken, und noh mehr, um ſi< baden zu können. Denn ſie ſind ſehr reinlih, dulden weder an ihrem Gefieder noh an ihrem Schnabel irgend welhen Schmuß und pußen ſi fortwährend. Bei einigermaßen genügender Pflege halten ſie viele Fahre in der Gefangenſchaft aus. „Jn der kaiſerlihen Hofburg zu Wien“ erzählt Fißinger, „wo nach einer alten Sitte der Regenten aus dem Hauſe Habsburg durh mehrere Fahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenſchaft gehalten und ſorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615—-1719, und in Schönbrunn ſtarb im Fahre 1809 ein Adler derſelben Art, der faſt volle 80 Jahre in der Gefangenſchaft zugebracht hatte.“

Schon Pallas und nah ihm Eversmann haben uns berichtet, daß der Steinadler von den Baſchkiren und anderen inneraſiatiſhen Völkerſchaften zur Jagd abgetragen wird. Auf unſerer Reiſe nah Sibirien und Turkiſtan habe ih die rieſigen Beizvögel ſelbſt geſehen und von den Kirgiſen, die ſi< mit Vorliebe ihrer bedienen, das Nachſtehende über Abtragung und Verwendung erfahren. Alle kirgiſiſchen Jäger, welche ſi<h des Steinadlers als Beizvogel bedienen, entnehmen ihn ſo jung wie möglih dem Horſte und ziehen ihn mit größter Sorgfalt auf. Der junge Adler wird nur aus und auf der Hand des Falkners gekfröpft, um ſih von früheſter Kindheit auf an ſeinen Pfleger zu gewöhnen, ſpäter, jedo<h nicht, bevor er vollſtändig ausgefiedert, nah dem Kröpfen auch jedesmal ſorgfältig behäubt. Eine beſondere Abtragung hält der Kirgiſe niht für notwendig, begnügt ſih vielmehr, den Vogel auf die Fauſt und an den Anruf zu gewöhnen; vererbte Gewohnheit muß das Fehlende ergänzen. Nachdem der Adler vollkommen flugbar geworden, zieht der Falkner mit ihm in die Steppe hinaus, um ihn zunächſt auf <hwa<hes Wild, namentlih Bobaks und Zieſel, zu werfen. Da der {were Vogel die dur einen ſtarken Handſhuh geſhüßte Fauſt bald ermüdet, hat der Reiter entweder vorn am Sattelknopfe oder im Steigbügel eine Stüße angebracht, auf welcher er ſeinen Vorderarm ruhen läßt. Dank der Fertigkeit aller Kirgiſen, auch auf den ſhwierigſten Wegen zu reiten, erklimmt der berittene Falkner mit ſeinem Beizvogel ſtets eine Höhe, die weitere Umſchau gewährt, enthäubt den Vogel, wenn er für ihn geeignetes Wild erſpäht hat, und wirſt ihn in die Luft. Der Adler ſtellt ſi< im Anfange meiſt ziemlih ungeſchi>t an, erwirbt ſih aber bald die nötige Fertigkeit, um ein Steppenmurmeltier zu ſchlagen, bevor es ſeinen Bau erreiht. Verſteht er ſolhe Jagd, fo wird er nunmehr auf den Fuchs verwendet. Leßteren ſ{heuchen die Gehilfen des Jägers aus ſeinem Verſtete, verfolgen ihn zu Pferde und verſuchen ihn ſo zu treiben, daß er in der Nähe des Falkners vorüberkommen muß. Jm geeigneten Augenbli>e wirſt leßterer ſeinen Beizvogel. Dieſer erhebt ſi, beſchreibt zunächſt ein oder zwei Kreiſe, ſtürzt ſi<h dann in ſchiefer Richtung auf den Fuchs und ſ{hlägt ihm die Fänge in den Hinterleib. Der Fuchs du>t ſih augenbli>lih nieder, um ſeinem Gegner einen tödlichen Biß zu verſeßen;