Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

320 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel. g

den Wellen zu verſhwinden. An der Seeküſte ſtellt er verſchiedenen Meeresvögeln, namentlih Enten und Alken, ſowie Fiſchen oder Meerſäugetieren nah. Die Taucher ſind, nach Wallengrens Bericht, mehr gefährdet als die niht tauhenden Vögel. Dieſe erheben ſi beim Anbli>e des allgefürchteten Näubers ſo ſchnell ſie können und entweichen, jene vertrauen oft zu viel auf die Waſſertiefe, warten den Adler ruhig ab, tauchen und glauben ſih geſichert , während der böſe Feind doh nur darauf lauert, daß ſie wieder zum Vorſchein kommen müſſen. Sie entrinnen vielleicht zwei- dreimal der verderbenden Klaue — beim vierten Auftauchen, wenn ſie, dem Erſti>ken nahe, einen Augenbli> länger verweilen als ſonſt, ſind ſie gefaßt und wenige Sekunden ſpäter erwürgt. Am Menſalehſee in Ägypten, in Ungarn und in Norwegen habe ih den Seeadler oft beobachtet und immer geſehen, daß groß und klein, ſelbſt andere Naubvögel, ſeine Nähe fürchtete; ih zweifle auh nict daran, daß er den Fluß- oder Fiſchadler, dem er oft ſeine Beute abjagt ebenſo ruhig verzehren würde wie jedes andere Wild. Mit der Kühnheit und dem Bewußtſein der Kraft dieſes Vogels vereinigt ſi die größte Hartnäckigkeit. A. von Homeyer beobachtete, daß ein Seeadler ſih wiederholt auf Meiſter Reineke ſtürzte, der ſi ſeiner Haut doh wohl zu wehren weiß, und derſelbe Forſcher erfuhr von glaubwürdigen Augenzeugen, daß ein Adler bei einer derartigen Fagd den von ihm erſpähten Fuchs beinahe umbrachte, indem er fortwährend auf ihn ſtieß, den Biſſen des Vierfüßers geſchictt auszuweichen und alle Verſuche des lebtern, den nahen, de>enden Wald zu erreichen, zu vereiteln wußte. Daß die kleineren Herdentiere aufs höchſte dur< dieſen Adler gefährdet ſind, iſt eine bekannte Thatſache, daß er Kinder angreiſt, keinem Zweifel unterworfen: erzählt doh Nordmann, daß einer in Lappland ſogar auf einen fahltöpfigen Fiſcher herabſtieß und ihm den Skalp vom Schädel nahm, ebenſo wie ein anderer aus einem Fiſcherboote einen eben gefangenen Hecht erhob, während der daneben ſißende Fiſcher beſchäftigt war, das Net in Ordnung zu bringen. Freiherr von Kalbermatten rühmt beſonders ſeine außerordentlihe Muskelkraft, die ihm geſtatte, „ſelbſt große Tiere, wie ein Lamm, ein Reh, eine Ziege 2c. viele Meilen weit mit ſih fortzutragen“ ſowie auh „bei den fur<tbarſten Orkanen gegen die Luftſtrömung und mit außerordentliher Geſchwindigkeit zu fliegen“.

An den Vogelbergen des Nordens findet auch er ſih regelmäßig ein und zieht ſi< mit aller Gelaſſenheit die Bergvögel aus ihren Neſtern hervor. Die Eidergänſe fängt er, die jungen Seehunde nimmt er dicht neben ihren Müttern weg, die Fiſche verfolgt er bis in die Tiefe des Waſſers. Zuweilen mißglüc>en ſolhe Verſuche. Freiherr von Kittliß hörte von den Bewohnern Kamtſchatkas erzählen, daß der Seeadler man<hmal von Delphinen, auf die er geſtoßen, in die Waſſertiefe hinabgezogen und ertränkt werde, und Lenz erzählt Folgendes: „Ein Seeadler ſ<webte, Beute ſuchend, über der Havel und entde>te einen Stör, auf welchen er ſogleih niederſtieß; allein der kühne Adler hatte ſeiner Kraft zu viel zugetraut: der Stör war ihm zu ſ{hwer, und es war ihm unmöglich, die Beute aus dem Waſſer emporzuheben; jedo<h war auch der Fiſh nicht ſtark genug, den Adler in die Tiefe hinabzuziehen. Er ſchoß wie ein Pfeil an der Oberfläche des Waſſers dahin; auf ihm ſaß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, ſo daß beide wie ein Schiff mit Segeln anzuſehen waren. Einige Leute bemerkten dies ſeltene Schauſpiel, beſtiegen einen Nachen und fingen ſowohl den Stör als auch den Adler, der? ſih ſo feſt in den Fiſch eingekrallt hatte, daß er ſeine Klauen nicht befreien konnte.“

Sn den Steppen Südrußlands muß ſich der Seeadler oft mit erbärmlichem Wilde begnügen. Hier bilden, laut Nordmann, wenn er ſeine Jagd fern von den Flüſſen betreibt, fleine Steppenſäugetiere und Vögel die hauptſächlichſte Beute. Auf den Werſtpſählen oder den zur Bezeichnung der Wege errichteten Erdhügeln, im Winter oft in unmittelbarer Nähe menſ<hliher Wohnungen ſizend, lauert er auf Zieſel und Eidechſen, und ebenſo weiß er ſi