Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

108 Erſte Unterordnung: Eidechſen; ſe<hſte Familie: Schleichen.

läuft ſie mit einiger Schnelligkeit, auf ebenem Boden ſo gemäßigt, daß man mit ruhigem Schritte bequem nebenher gehen kann, bergauf noch viel langſamer. Legt man ſie auf eine Glasſcheibe, ſo wird es ihr ſehr ſ{<hwer, von der Stelle zu kommen; doch hilft ſie ſi<h na< und nah dur ihre ſeitlichen Krümmungen fort. Jn das Waſſer geht ſie freiwillig niht; wirft man ſie hinein, ſo ſhwimmt ſie, indem ſie ſih ſeitli<h krümmt, recht flink, gewöhnlih ſo, daß das Köpfchen über die Oberfläche erhoben wird, zuweilen jedo<h auc auf dem Rücken; immer aber ſucht ſie bald das Trockene wiederzugewinnen.

Unter ihren Sinnen ſteht unzweifelhaft der des Geſichtes obenan, trot des ſ{<wer begreiflihen Volksnamens, der dem Tiere geworden iſt. Sie hat zwei hübſche Augen mit goldgelber Regenbogenhaut und dunklem Sterne, mit welchen ſie gut ſieht. Gredler bemäkelt dieſe Angabe, weil er an gefangenen Blindſchleichen niemals beobachtete, daß ſie in gerader Nichtung auf den ihnen vorgehaltenen Fraß losgeſtürzt wären, geſteht aber anderſeits zu, daß junge die Annäherung der Hand außerhalb des Glasfkäfigs auf ziemliche Entfernung gar wohl wahrnahmen, bringt überhaupt nichts vor, was dagegen ſpräche, daß ein Tier mit zwei hellen Augen niht ſehen ſollte. Ob die Blindſchleiche aber auh in hellem Sonnenlichte ſieht, iſt eine andere Frage. Die gelbrote Färbung ihres Augenringes ſpricht weder dafür noh dagegen, das täppiſche Betragen des Tieres im Sonnenſchein aber wohl für ſhle<htes Sehen. Verſuche an gefangenen Blindſchhleichen laſſen glauben, daß das Gehör hinter dem Geſichte wenig oder niht zurü>ſteht; ein beſtimmtes Urteil hierüber zu fällen, iſt aber ſ<hwer. Über die Entwickelung der übrigen Sinne, mit Ausnahme des Taſtſinnes, läßt ſich ſ<hwer etwas ſagen; man kann wohl annehmen, daß die Zunge feine Empfindung beſißt, wird aber ſ{hwerli<h ſo leiht über den Geruhs- und Geſhmacsſinn ins flare fommen. Von ihrer geiſtigen Begabung ſcheint Leydig eine hohe Meinung gewonnen zu haben. Jhr Gebaren weicht in vielen Stü>ken von dem der Eidechſen ab. „Vor allem iſt ſie um vieles ruhiger und nachdenklicher in ihrem ganzen Weſen, und es mag deshalb daran erinnert werden, daß die Lappen des großen Gehirnes bei unſerem Tiere im Vergleiche zum Mittelhirn entſchieden größer ſind als bei den Eidechſen.“ Sie zeigt ſih niht ſcheu und noch viel weniger liſtig und entgeht den meiſten Feinden gewöhnlich bloß dadurch, daß ſie, ergriffen, ſi heftig, ja unbändig bewegt und dabei meiſt ein Stück ihres Shwanzes abbricht. „Während nun das abgebrochene Stü“, ſagt Lenz, „noch voll Leben herumtanzt und von dem Feinde ergriffen wird, findet ſie Gelegenheit, ſih aus dem Staube zu machen. Dies kann man leiht beobachten, wenn man verſchiedene Tiere mit Blindſchleichen füttert.“ Gewöhnlich läßt ſie ſi fangen, ohne ſih irgendwie zu verteidigen; ausnahmsweiſe macht ſie jedoh von ihrem Gebiſſe Gebrauch, ſelbſtverſtändlih ohne dadur<h irgend einen ihrer Gegner abſchre>en zu können. Fm Verlaufe der Zeit fügt ſie ſih in die veränderten Umſtände, ſo in die Gefangenſchaft und ihren Pfleger. „Ft ſie“, nah Lenz, „einmal an den Menſchen gewöhnt, ſo läßt ſie ſi recht gern in die Hand nehmen, ſ{hmiegt ſih darin mit dem Kopfe und dem Schwanzende vorzüglih zwiſchen die Finger und ſcheint ſomit ein Verſte> zu ſuchen.“ Mit verſchiedenen Schlangen, Fröſchen und Eidechſen verträgt ſie ſi ſehr gut; ſie ſcheint herzlih froh zu ſein, wenn ihr kein anderes Tier zu Leibe geht.

Gleich anderen Kriechtieren beſißt ſie eine auffallende Zählebigkeit und kann monate lang hungern. Tabaksſaft, der S<hlangen leiht umbringt, tötet ſie niht. Lenz gab zwei Blindſchleichen an drei aufeinander folgenden Tagen Tabaksſaft ein; ſie wurden zwar anfangs betäubt, erholten ſih aber dann wieder. Eine, die Steinöl einnehmen mußte, wurde zwar ſehr unruhig und bewegte ſih ſo heftig, daß ihr Schwanz abbrach, zeigte aber nicht einmal Spuren von Betäubung und blieb am Leben.

„Sie gebären lebendige Junge, wie auch die Natern, welches die Erfahrung offtermahls bewieſen und an den Tag geben“, bemerkt ſchon der alte Gesner hinſihtlih der