Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5, S. 786

704 Zweite Ordnung: Webſpinnen; zweite Familie: Radſpinnen.

Kiefernſtämme oder in der Ee einer alten, niht gangbaren Thür, muß die Spinne auf zwei ſehr verſchiedenen Wegen zu ihrem Zwecke zu gelangen ſuchen. Fm legteren Falle iſt der zweite Endpunkt für die Anheftung des Fadens zu Fuße zu erreichen, im erſteren durch einen großen Umweg vielleicht auch, doh dabei würde der Faden eine viel zu große Länge bekommen. Es iſt bekannt, daß gewiſſe Spinnen Fäden aus den Spinnwarzen ausſchießen und dann an ihnen fortfliegen; ob nicht die Kreuzſpinne einen ſolchen glei<falls ausſchießen und abwarten kann, bis er ſi< mit ſeinem loſen Ende an einen entfernten Gegenſtand anhängt? Kirby teilt einen intereſſanten Verſuch mit, welchen er anſtellte, um in dieſer Hinſicht Gewißheit zu erlangen. Er ſeßte nämlich eine Kreuzſpinne an einen etwa 1,30 m langen Sto> und dieſen mitten in ein Gefäß mit Waſſer. Die Spinne fro<, einen Faden hinter ſi ziehend, am Stoke hinab, als ſie aber mit den Vorderfüßen das Waſſer fühlte, kehrte ſie um und kletterte an dem Faden wieder in die Höhe. Dies wiederholte ſie die verſchiedenſten Male und ermüdete dadur< den Beobachter, ſo daß er ſie auf einige Stunden verließ. Bei ſeiner Rückkehr fand er ſie niht mehr am Sto>e, woht aber von deſſen Spize einen Faden nah einem etwa 21 cm entfernt ſtehenden Schranke gezogen, welcher der Entwichenen als Brücke gedient hatte. Kirby fand au< die Spinne ſelbſt auf und verurteilte ſie dazu, ihm ihr Kunſtſtück vorzumachen. Sie ward abermals auf den Sto> geſeßt, nahdem die Brücke abgebrohen worden war. Anfangs wiederholte ſie ihr langweiliges Ab- und Aufkriecen, ließ ſih aber zulegt an zwei Fäden nieder, die ſie mit den Hinterfüßen auseinander hielt, riß, unten angekommen, den einen los und ließ ihn flattern. Kirby, welcher es niht dem Zufall anheim geben wollte, bis dieſer loſe Faden irgendwo anhaften würde, fing ſein Ende mit einem feſten Gegenſtand (Pinſel) auf, wielte ihn einigemal um denſelben und zog ihn ſtraff an. Die Spinne, welche indeſſen wieder am Kopfe des Sto>es angelangt war, unterſuchte den Faden mit ihren Beinen und da ſie das. Seil hinreichend ſicher fand, kro ſie auf ihm fort, dasſelbe dur neue, anklebende Fäden verſtärkend, und kam glü>li<h am Pinſel an. Noh ein anderes Mittel, einen entfernten Gegenſtand zu erreihen, beſteht darin, daß ſi< die Spinne an einem Faden aufhängt, zu ſchwingen anfängt und dies ſo lange fortſeßt, bis ſie jenen mit den Füßen erfaßt. Wenn ein Faden noh niht die gewünſchte Spannung hat, läßt ſi< durch ſeit: lihe, fürzere Fäden leiht nachhelfen. Angenommen, der Rahmen ſei auf die eine oder andere Weiſe glülih angelegt, ſo zieht die Spinne, an ihm hinlaufend und den Faden abhaltend, einen Durchmeſſer, begibt ſi<h nac deſſen Mitte und zieht, immer wieder dahin zurüfehrend, die Strahlen nah allen Seiten, den lebten als Weg für die Anlage des nächſten benußend. Die Verbindung aller durch Kreiſe bleibt nun als leichteſte Arbeit no< übrig. Abermals vom Mittelpunkt ausgehend, fertigt ſie unter kreisförmigen Umläufen einen Faden, legt ihn mit den Kämmen ihrer Hinterfüße zurecht, lebt ihn an einen Strahl nah dem anderen an, bis ſie den weiteſten und leßten Umgang gehalten hat. Das Mittel: feld enthält ungefähr in einer Ausdehnung desjenigen Raumes, den die Spinne mit ausgeſtre>ten Beinen einnehmen kann, tro>ene Seidenfäden von gleiher Beſchaffenheit mit den bisher verwendeten, weiterhin aber nehmen dieſelben einen anderen Charakter an, indem ſie nämlih dur<h ungemein feine und zahlreiche Knötchen, wel<he ihnen anhängen, flebrig werden, damit die anfliegenden Kerfe mit Beinen und Flügeln leichter hängen bleiben, wie der Vogel an der ausgelegten Leimrute. Ein Neß von 36—89 em Durchmeſſer enthält na<h ungefähren Berechnungen 120,000 ſolcher Knötchen.

Der Bau iſt fertig, und wenngleich die Strahlen nicht wie mit dem Zirkel abgemeſſen erſcheinen, und die Kreiſe au< noch in anderer Hinſicht als durch die ſtumpfen Verbindungseden mit jenen von der mathematiſchen Genauigkeit der Zirkellinie abweichen, ſo iſt ex do< niht minder bewunderungswürdig und ein redender Zeuge von dem außergewöhnlichen