Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 269

Allgemeines. Bau der Tevebvrateln. 229

zumal au< die Entwi>kelungsgeſchichte uns zum Verſtändnis verhilft. An den Muſchelwürmern iſt niht die Lebensweiſe der Jndividuen das Anziehende, ſondern die Entſtehungsgeſchichte der ganzen Klaſſe, von der uns die Entwickelung des Einzelweſens eine wiſſenſchaftlih begründete Vorſtellung gibt. Doch hiervon weiter unten. '

Wir wollen unſere Studien an die in der heutigen Welt verbreitetſte Familie der Tevebrateln (Terebratulidae) anfnüpfen. An allen Arten der Familie fällt uns ſogleih die Ungleichheit der beiden Schalenhälften oder Klappen auf; die eine iſt bauchig, größer als die andere und am Schnabel durchbohrt. Durch dieſes Loch tritt ein kurzer, ſehniger Stiel hervor, womit das Tier an unterſeeiſhe Gegenſtände angeheftet iſt. An den vom Tiere und der tieriſhen Subſtanz überhaupt befreiten Schalen ſieht man nun bei dem Verſuch, die Klappen voneinander zu entfernen, daß ſie in der Nähe des Schnabels in der Art miteinander verbunden ſind, daß ein paar Zähne der größeren Klappe in Gruben der kleineren Klappe aufgenommen ſind. Sie können niht, wie die Muſchelſchalen, auseinander fallen, obſchon ſie das elaſtiſhe Band, das Ligament jener nicht beſißen. Aus der Lage des Tieres und der Lagerung ſeiner Teile orientiert man ſih dahin, daß jene größere bauchige Schalenhälfte als Bauchklappe, die andere als Deckel- oder Rü>enÉlappe zu bezeihnen iſt. Von der Schloßgegend der leßteren ragt ein zierlihes ſ<leifenförmiges Kalkgerüſt nah dem gegenüberliegenden freien oberen Rande hin, in deſſen verſchiedener Entwickelung und Geſtalt man willkommene Anhaltspunkte für eine gründliche Syſtematik der Familien und ihrer Unterabteilungen gefunden hat. Auch an den gut erhaltenen Schalenreſten der vorweltlichen Brachiopoden iſt Form und Ausdehnung dieſes Gerüſtes wohl zu erkennen und aus demſelben auf die Beſchaffenheit der In wichtigen Organe zu ſchließen, von welcher die Klaſſe ihren wiſſen- M re e LE ſchaftlichen Namen erhielt. Sowohl das Schließen als das Öffnen der Klappen geſchieht dur<h Muskeln, die jedoch eine zu ſpezielle Beſchreibung verlangen, als daß wir darauf eingehen könnten; übrigens verweiſe ih auf das unten über Thecidium geſagte.

Das Kalkgerüſt dient nämli<h als Träger und Stüße zweier ſpiralig eingerollten, mit längeren Franſen beſeßten Lippenanhänge oder Arme. Dieſelben nehmen den größten Teil des Gehäuſes ein, indem ſie vom Munde (0) ausgehen, unterhalb welches ſie durch eine ebenfalls gefranſte häutige Brücke verbunden ſind. Der gewundene Stiel und Schaft der Arme iſt nur geringer Bewegungen fähig, auh die Franſen ſind ziemlich ſteif, alle dieſe Teile aber von Kanälen dur<zogen. Sie ſind dadur<h in hohem Grade geeignet, als Atmungswerbzeuge zu dienen. Es hat ſi< zwar gezeigt, daß ſie ihrem Namen als Arme wenig Ehre machen, indem, abgeſehen von Rhynchonella, von einem Hervorſtre>en aus dem Gehäuſe und Ergreifen der Nahrung keine Rede iſt, indem ſie aber (wiederum wie die meiſten derartigen Atmungsorgane) mit Flimmerhärchen bede>t ſind, gleitet infolge der hierdurch erregten Waſſerſtrömung die fein zerteilte Nahrung bis zur Mundöffnung. Der Darmkanal iſ kurz und endigt bei x blind.

Die bisher beſprochenen, beim Öffnen der Klappen zunächſt in die Augen fallenden Teile ſind von zwei dünnen Mantelblättern umhüllt, welhe ſfih eng an die Klappen anſhmiegen und dieſelben dur< von ihrer Oberfläche abgeſonderte Subſtanzen bilden. In gefäßartigen Ausweitungen dieſer Blätter liegen auh Fortpflanzungsorgane, die ſehr einfa<h gebaut ſind. Die Geſchlechter ſind getrennt und in einigen Fällen an der verſchiedenen Form der Schale zu erkennen.

Als Ausführungsgänge für die Geſhle<htsprodukte, zugleih wahrſcheinlih als Nieren dient ein paax häutiger Trichter, die inwendig flimmern, mit ihrem freien offenen Ende