Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 552

502 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen.

Äſtchen dritter und vierter Ordnung tragen. Somit gibt der entfaltete Tentakelnkranz ein äußerſt lieblihes Bild.

Mit Verwunderung bemerkt man aber, daß von den zehn Fühlern nur acht gleich lang und in der beſchriebenen Weiſe entwi>elt ſind. Zwei nebeneinander ſtehende ſind und bleiben weit kürzer und gleichen, voll entfaltet, einem Beſenſtummel oder Wiſcher. Man ſieht ſehr bald, wenn man ein Fndividuum einige Minuten ins Auge faßt, wie dieſe ungleichen Tentakeln verſchieden verwendet werden. Jn faſt ſymmetriſcher, aber doh niht geſezmäßiger Reihenfolge wird je ein Tentakel zuſammengezogen, umgebogen und bis zur Wurzel in den weit geöffneten Mund geſte>t, beim Herausziehen aber gewöhnlich von einem der beiden Wiſcher ſo bede>t und an die Lippe angedrückt, als ob er gründlich abgeſtreift werden ſollte. Da man unſere Cucumarie nie größere Nahrungsbiſſen zu ſi<h nehmen und Monate hindur< an der einmal erwählten und erkletterten Stelle verweilen ſieht, ſo darf man wohl nicht daran zweifeln, daß das Einſtülpen der Tentakeln zum Behufe des Able>ens geſchieht, und daß ſie auf dieſe originelle, ſhon bei anderen Holothurien beobachtete Art ihre mikroſkopiſche Nahrung zu ſih nimmt.

Die Gattung Bolothuria gehört zu denjenigen, wo die Ambulacra ſo aneinander rü>en, daß man eine plattere Bauchſeite, auf welher nunmehr das Tier immer kriecht, von dem Rüen unterſcheiden muß. Fndem ſi<h aber ſolhe Formen von den regelmäßig ſirahligen entfernen, ſtimmen ſie doh in allen weſentlichen Eigentümlichkeiten des Baues mit ihnen überein. Jm Adriatiſchen und Mittelmeere lebt die äußerſt häufige Röhrenholothurie (Wolothuria tubulosa), die ſih deshalb am beſten zur Beobachtung im lebenden Zuſtande und zur anatomiſchen Unterſuchung eignet, weil ſie die beträchtliche Länge von 25 ecm und darüber erreiht und ſowohl in größeren Tiefen, als ganz nahe am Ufer auf ganz ſeihten Stellen ſi<h aufhält. Sie erträgt es ſogar, auf Stunden von der Ebbe bloßgelegt zu werden, wobei ſie nur die Vorſicht gebraucht, zu der alle Holothurien bei der leiſeſten Störung greifen, die Mundfühler einzuziehen. Die wahrhaft lederartige bräunliche, rötliche oder ſhwarze Haut ſ{hügt ſie vor dem Austro>nen, und ſo liegen die Tiere wie unappetitliche Würſte ohne Lebenszeichen auf dem Sande und zwiſchen den Steinen.

Weder die am Strande ihr Futter ſuchenden Vögel, noh die die Meeresfrüchte ſammelnden Menſchen kümmern ſi<h um ſie. Wenn wir ſie ihre trägen Bewegungen wollen ausführen ſehen, müſſen wir die vom Waſſer bede>ten Exemplare betrahten. Da ſtülpt ſi das Vorderende allmählich aus, und der Mund nimmt vermittelſt der geſtielten, oben ſchild- oder blattförmigen Fühler, wie es ſcheint, ohne Wahl Shlamm, Steinchen, Muſchelfragmente und dergleichen auf, um dabei gelegentli<h auh Verdauliches dem langen Darme zuzuführen. Da du mit dieſer Beobachtung bald fertig biſt, ſo willſt du das Tier näher in Augenſchein nehmen und umfaſſeſt es mit der Hand. Was geſchieht?! Es zieht ih frampfhaft zuſammen und ſpeit ſeine eignen Eingeweide aus! Wer einmal die Erfahrung gemacht und ſi von dem kleberigen und anhaftenden Fnhalte einer großen Holoihurie hat beſudeln laſſen, behandelt ſie ſpäter mit Vorſicht. Wegen dieſer außerordentlichen Reizbarkeit und ihren vomitiviſchen Folgen eignen ſi< die Holothurien zur Auſfſtellung in den Muſeen ſehr ſhle<t. Getro>net ſehen ſie aus wie ein Stü> runzliges Leder, in Spiritus aufbewahrt wie eine verunglückte Wurſt. Am beſten iſt es mir noh geglüdt, ſie mit entfaltetem Fühlerkranze zu erhalten, wenn ih zu dem Seewaſſer, worin ih ſie im Gefäße hielt, nah und nah Süßwaſſer vorſichtig zugoß. Wenn ſie auh mehrere Tage lang ſi Hartnäig eingezogen halten, ſo ſtre>t ſi< doh die eine oder andere und ſtirbt dann ab. Jedenfalls bekommt derjenige, welcher ſie niht in der Natur beobachten fann, durch ein farbiges Bild eine richtigere Vorſtellung als dur die auf die eine oder andere Weiſe konſervierten Exemplare.