Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 564
514 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel.
Exfaſſen und Weitergeben von Gegenſtänden dienen. Höchſt eigentümliche Organe ſind die ſogenannten Pedicellarien, welche als kleine, aber mit bloßem Auge erkennbare zweioder dreiſchenkelige Zangen auf beweglichen Stielen zwiſchen den Stacheln über die ganze Körperoberfläche verbreitet ſind. Dieſe, gleih den Stacheln in außerordentliher Mannigfaltigkeit vorkommenden Organe ſind, wie ihre Entſtehung und Entwickelung lehrt, nichts anderes als modifizierte Stacheln. Schon O. F. Müller entde>te ſie im vorigen Fahrhundert, was eben niht ſ{hwer war, da ſie ein ſcharfes Auge ret gut ſieht. Aber wegen der ſonderbaren ſ{hnappenden Bewegungen, die jede einzelne Pedicellarie ausführt, wurden fie von Müller für polypenartige Shmaroßer der Seeigel gehalten. Erſt der neapolitaniſhe Zoolog delle Chiaje (1825) erkannte ſie als Teile der Hautbede>ungen und hielt ſie für Haft: und Greifwerkzeuge, welche beſonders dazu dienen ſollten, kleine Nahrungsteilchen zu erhaſchen und ſich einander bis zum Munde zuzureichen. Aber das iſt unrichtig, und erſt neuerdings haben uns die Beobachtungen von A. Agaſſiz Aufſhluß über die eigentümlichen Dienſte der Pedicellarien gegeben. Wir führten an, daß die Afteröffnung ſih gerade oben auf dem Scheitel des kugeligen Körpers befindet. Die Lage iſt, muß man eingeſtehen, für die Reinlichkeit eine ſehr ungünſtige, wenn — die Pedicellarien niht wären. Dieſe nämlich faſſen die in kleinen Broten erſcheinenden Exkremente und geben ſie ihren Nachbarn bis über die Wölbung des Gehäuſes hinaus, wo die Exkremente ohne weitere Gefahr der Verunreinigung ins Waſſer fallen können. „Nichts iſt merkwürdiger und unterhaltender“, ſagt A. Agaſſiz, „als die Geſchiklichkeit und Ordnung zu beobachten, womit dieſes Geſchäft verrichtet wird. Man fann ſehen, wie die ausgeworfenen Teile ſehr ſ{<nell E die Streifen paſſieren, wo die Pedicellarien am dihfe O i DA OR vergebe teſten ſtehen, als ob es ebenſo viele Abfuhrſtraßen wären;
: auch ſtellen die Zangen ihre Arbeit nicht eher ein, als bis die ganze Oberfläche des Tieres durchaus gereinigt iſt. Dieſe kleinen mertwürdigen Organe haben jedo<h no< andere, als dieſe löblihen und nüßlichen Geſchäfte von Gaſſenkehrern. Sie ſind über den ganzen Körper verteilt, während ſie die Exkremente nur längs beſtimmter Wege fortſchaffen. Beſonders zahlrei finden ſie ſi<h um den Mund herum, wo ſie kürzer und feſter ſind.
„Bei genauer Beobachtung der Bewegungen der Pedicellarien bemerken wir, daß ſie außerordentlich thätig ſind, indem ſie ihre Zangen unaufhörlih öffnen und ſchließen, ih nath allen Richtungen hin ausſtre>end; da die Biegſamkeit der Stielſcheide ihnen geſtattet, ſih nach allen Winkeln und E>en zwiſchen den Stacheln zu bewegen, ſo gelingt es ihnen gelegentlih auh, irgend eine unglüd>liche kleine Kruſtacee, einen Wurm oder ein Weichtier zu packen, die ſih zwiſchen den Stacheln verwi>elt haben. Doch ſcheinen ſie ihre Beute niht zum Munde zu führen (wenigſtens habe ih nie Seeigel auf dieſe Weiſe erfaßte Nahrung freſſen ſehen), ſondern nux von der Körperoberfläche zu entfernen, wie andere \<le<hte Stoffe. Jhre Art zu freſſen (ſie weiden gewiſſermaßen mit ihren ſcharfen Zähnen die Oberfläche der Felſen ab) ſcheint au<h niht die Annahme zu begünſtigen, daß die Pedicellarien als Eßzangen benußt werden.“
In manchen Fällen ſind mit den Pedicellarien kleine Giftdrüschen verbunden, deren Sekret dur< jene abfließt. Am ſtärkſten entwi>elt ſind beſondere Giftapparate bei