Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 684
Entſtehung dex Barriereviffe und Atollform. 621
örtlicher ozeaniſher Strömungen zurückführen. Man findet gewöhnlih ſtarke Flutſtröme dur<h die Kanäle und Rifföffnungen, welhe von Form und Richtung der Küſtenlinien abhängen, auh davon, daß über die niedrigen Teile der Niffe fortwährend Waſſer in die Kanäle und Lagunen geworfen wird, welches ſi<h der Flut entgegen als Unterſtrömung einen Ausweg ſucht oder die Ebbeſtrömung verſtärkt. Dieſe und ähnliche Waſſerbewegungen führen viele Korallentrümmer mit ſih, und der Boden, wo dies geſchieht, iſt für das Anſetzen von Polypen völlig ungeeignet. Fſſtt eine ſolhe Strömung irgend ſtark, fo reinigt ſie fortwährend die Kanäle und hält ſie offen. Die Thätigkeit der Seeſtrömungen wird oft durch die aus den Fnſeln kommenden Gewäſſer verſtärkt, und ſo findet man ſehr häufig die Häfen an der Mündung von Thälern und deren Bächen und kleinen Strömen. Der Einfluß des Süßwaſſers an ſih auf das Vorkommen der Polypen iſt nicht ſo groß, wie man gewöhnli<h annimmt, vornehmlih weil es, leichter als das Salzwaſſer, auf demſelben abfließt und die etwas tiefer ſibenden Korallentiere wenig oder niht berührt. Eine vielleiht no< größere Einwirkung auf die Geſtaltung der Riffe hängt aber von den Verhältniſſen des rifftragenden unterſeeiſchen Landes und der Beſchaffenheit des Grundes ab. Wo tiefere Einriſſe, unterſeeiſhe Klüfte ſind, welhe unter jenes den Polypen zuſagende Niveau gehen, fällt die Anſiedelung von Korallenſtö>ken weg, wie auch da, wo feſter Untergrund mit Sand und Schlamm wechſelt. Alle Unregelmäßigkeiten des Umriſſes der Niffe und Atolle, alle Hafenbildungen an den Koralleneilanden finden ſo ihre einfache Erklärung.
Die wichtigſte no< zu erläuternde Frage iſt diejenige na<h den Urſachen der Entſtehung der Barriereriſſe und der Atollform der Koralleninſeln. Nichts hat uns in den bisherigen Erörterungen Aufſchluß darüber gegeben, warum dieſe Bildungen die Fnfſeln in gewiſſer Entfernung gürtelförmig umgeben oder Hunderte von Meilen weit das Land, welches ſie ſhüßen, begleiten, oder warum ſie eine Lagune umſchließen. Es war die Frage, welche ſih am erſten den Entde>ungsreiſenden aufdrängte, und man war einmal geneigt, einen Jnſtinkt anzunehmen, der die Tierchen anweiſt, den Bauten diejenige Form zu geben, welche der Macht der Wogen den größten Widerſtand leiſte. Nach einer anderen zuerſt (1822) von dem Naturphiloſophen Steffens vertretenen Hypotheſe ſollten die Korallenbauten die Spißen von Vulkanen einnehmen, deren Krater der Lagune entſpreche, während die Eingänge durch die Niffe die Stellen bezeichneten, wo der Kraterwall von Lava- Ausbrühen zerſtört ſei. Schon vor einigen Jahrzehnten hat Darwin dieſe bei oberflählicher Betrahtung ganz anſprechende Annahme als hinfällig na<hgewieſen. Die vorausgeſeßten vulkaniſchen Kegel mußten entweder einſt auf Land geſtanden haben und ſpäter verſunken ſein, oder ſie hatten ſi< untermeeriſh gebildet. Fm erſten Falle würde beim allmählihen Verſinken der Krater faſt immer zerſtört worden ſein; bei untermeeriſhen Ausbrüchen iſt aber die Kraterbildung und die Erhebung vulkaniſcher Kegel überhaupt kaum denkbar. Außerdem aber verlangt die Hypotheſe, daß die Vulkane in einer auf dem Lande unerhörten Menge auf beſhränkten Stre>en entſtanden ſeien und, was no< unerhörter, ſih faſt gleih hoch erhoben hätten, da ja die Korallentiere nur von etwa 20 Faden an unter der Oberfläche fortkommen. Man müßte ferner Krater von 75 km im Durchmeſſer vorausſeßen und daß ſolhe von 30—44 km niht ſelten geweſen ſeien. Aus dieſen und einigen anderen Gründen muß die Annahme der Beteiligung von Vulkanen bei den Korallenbauten zurü>gewieſen werden. Und auch die Hypotheſe, daß nichtvulkaniſche Berggipfel und Bänke von gleicher Höhe die Grundlage für die Anſiedelungen der Korallen ſeien, verdient nah dem Vorausgegangenen keine weitere ernſtliche Widerlegung.
Darwin hat zuerſt na< naturwiſſenſchaftliher Methode die verſchiedenen Arten der Korallenbauten, die Strandriffe, Barriereriffe und Atolls ſtudiert und miteinander verglichen, und dann ſeine Anſicht über ihre Entſtehung nah den Thatſachen entwickelt.