Charakterologie

Die Therapie 239

des Patienten in diefen Zufammenhang jteht das überempfindlide Selbjtbewußtjein im Wege, das nicht wahrhaben will, daß eine Minderwertigfeit vorliegt. Alfo muß der „Stachel“, der in der betreffenden Minder= wertigeit liegt, gemildert werden. Der Patient muß dahin geführt werden, dak er feine Minderwertigfeit hinnimmt, daß er die Realität des Lebens und feiner jelbjt ertragen lernt und fich nicht vor ihr in einen überfompenjierenden „Größenwahn“ rettet. Und da nun fein menjcliches Wejen ohne Adytung vor fich jelbjt leben Tann, ijt es nötig, daß der Patient troß aller Einfiht feiner Shwähen jih als ganzen Menjcen mit diejen Schwächen bejahen lernt. Die objeftive Selbjterfenntnis in diejem PDunit ift alfo von innerer Ermutigung abhängig. Solange 3. B. ein ängitlicher Menich in feiner Ängitlichteit etwas jo Schlimmes fieht, daß er fie jid} überhaupt nicht eingejtehen fan, ohne dadurh fein ganzes Gleichgewicht zu verlieren, jo lange fann feine Selbjterfenntnis, damit aber aud) feine Gejundung und fein auf die Realität des Lebens eingejtelltes, aljo fein er= folgreiches Leben wachen. Ermutigung zu fich jelbjt, wie man nun einmal it, iit aljo das Geheimnis der Therapie gegenüber joldhen Überfom= penjationen. Der Gedanke: Du bijt ein wertvoller Menjcd audy mit diejer und jener Shwäche, Du braudjjt feinerlei unechte Sajjaden aufzubauen, diejer Gedante erjt gibt die Sreiheit für die Erkenntnis der Schwäden; damit dann aber aud) für diejenigen Impulfe, die nun in echter Weile, das heikt unmittelbar angreifend, den Schwächen zu Leibe gehen. Die Ermutigung zu fi jelbjt muß gleichzeitig Ermutigung zum Angriff auf die wirflihen Aufgaben des Lebens werden, vor denen jidy das (vor einer Niederlage überempfindlich zurüdichredende) Minderwertigteitsgefühl bisher gejcheut hatte.

Wir fagten, dab fein menjchliches Wejen ohne Achtung vor ic felbit leben fann. Daraus folgt, daß jedes Minderwertigfeitsgefühl dazu neigt, einen Gegenvol zu feßen, den wir, grob ausgedrüdt, „heimlichen Größenwahn“ nennen fönnen. Duch ihn vor allem befommt der an Mlinderwertigfeitsempfindungen leidende Menjd das Unechte. Die Spannung des normalen, gefunden Stolzes zerreißt gleihjam in die ijolierten Gegenpole: Minderwertigfeitsgefühl und Selbjtüberfhäßung. „Eigentlih bin ich viel mehr als die anderen, die mir im realen Leben überlegen find“ und um diejfe „eigentliche” Überlegenheit zu retten, die von der Realität itets widerlegt wird, iit Abwendung von der Realität notwendig. Das alfo ift der ewige Zirkel: Die Wirklichkeit verfchafft Niederlagen — „eigentlich“ bin ich mehr, als fie mir zu gelten erlaubt —, darum: Abwendung von ihr — Slucdht vor der Realität — Deritärfung der unecdhten Selbitüber-