Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

ihrer psycho-ontologischen Struktur von ihm von innen her gesprengt wird, wo er ernsthaft die Seelenkräfte als Pole zur Konstituierung der Korrelation benutzt. Die Seelenkraft ist in dieser Stellung nicht mehr im Seelenwesen als in ihrem Träger und Subjekt, sondern sie ist selbst Wesen der Seele geworden und zwar nun nicht mehr als Sein verstanden, sondern als Aktualität.

Diese Umwendung der Problemstellung ist nur in dem einen Falle bewußt ausgesprochen, wo Eckhart den augustinischen Gedanken aufnimmt: anima plus est ubi amat quam ubi animat: das Wesen der Seele liege eigentlih in dem Akt der Ausübung der Gerectgkeit ete.””), und aus diesen Akten erst lasse sich das Wesen der Seele bestimmen als das Wesen der Gerechtigkeit, also Gottes selber: „Swer dä minnet die gerehtekeit, des underwindet sich diu gerehtekeit unde wirt begriffen von der gerehtekeit und er ist ein in der gerehtekeit“ (Pf. 81: 260, I2)5)8

Wo Echart von der ontologisch begründeten scholastischen Psychologie ausgeht, spricht er seine grundsätzlichen Neuerungen nicht aus, sondern er verfährt nur in ihrem Sinn und richtet so unter den peinlichen scholastishen Distinktionen die gröbste Verwirrung an. Im Sapientiakommentar IV 359 referiert Eckhart die scholastishe Lehre, daß die heiligmachende Gnade (gratia gratum faciens) das göttliche Sein in das Wesen der Seele gebe*®). Er läßt sehr bezeichnender Weise den scholastisch klärenden und ergänzenden Zusatz fort: die Gnade gebe das göttliche Sein nicht in die Kräfte der Seele. Dadurch vermeidet er

»”) Pf. 65: 204,5: Sant Augustinus sprichet: dä diu sele minnet, dä ist si eigenlicher denne dä si leben git. Daz wort lutet grob und gemeine, unde verstet doch wenic ieman, wie im si und ist doch wär. Swer unterscheid verst&t von gerehtekeit und von gerehten, der verstet allez, daz ich sage: „die gerehten süllent leben.“

»s) cf. Pf. 74:235,22: Swer da minnet diu gerehtekeit, der wirt begriffen von der gerehtekeit (und er wirt selber diu gerehtekeit.) Es steht zwar im Text: und er wirt diu sterke! Die obige Konjektur Lassons dürfte aber dem Sinn mehr entsprechen.

®®) Derselbe Gedanke kommt auch bei Thomas von Aquin vor mit einem zwar nur sehr kleinen Unterschied, in dem aber die totale Umwendung der Problemstellung bei Eckhart zum Ausdruck kommt. Dort heißt es, die Gnade verleihe ein gewisses (!) göttliches Seın (esse gquoddam divinum). In einer ontologisch gedachten Ordnung vermag das niedere Sein von dem höheren nur einen gewissen Teil aufzunehmen, in einer logischen Ordnung dagegen muß das Untere durch das Obere total bestimmt werden, damit es überhaupt erst existent werde, und diese totale Bestimmung, das Grundgesetz aller „Logik“, bedeutet eben die Totalität der Gabe im theologischen Sinn. cf, Thery IV, 359 n. 5.

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