Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

Anhang: Das Problem des Glaubens.

Seligkeit ist Erkennen Gottes, Wissen der Wahrheit. Es muß aber nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß dieses Erkennen nicht im psychologischen Sinn, sondern im Sinn des logos, der unmittelbaren Wesensäußerung der Seele verstanden werden muß. Es ist nicht ein rationalistisches Vernünfteln, keine Reflexion, sondern unmittelbares Erleben, unmittelbares Ergreifen Gottes mit dem Wesen der Seele, mit dem logos. Die Vernunft in dieser Bedeutung genommen ist grundsätzlich capax infiniti und nur durch sie und in ihr vollzieht sich das religiöse Erleben. Dadurh wird die alte und fundamentale Unterscheidung von Glauben und Wissen und die Unterordnung des Wissens unter den Glauben hinfällig, ja die Zuordnung beider Kräfte und Erfahrungsweisen wird geradezu umgekehrt: Der Glaube ist die rohe und unzulängliche Vorstufe für die absolute Sicherheit des Wissens. Die systematisch bedeutsame Predigt Pf. 59 zeigt die charakteristishe Wendung: „diz ist gröben (!) liuten ze gloubenne, aber den erliuhten ist ez ze wizzene (189, 14) daz ist wisen liuten ze wizzene unde gröben ze gloubenne (190, 59).

In dem in Pf. 37 vielleicht eingeschobenen Dialog zwischen Erkenntnis und Minne (126, 18— 127,15) kommt ein ähnlicher Gedanke vor. der den Glauben zwar nicht direkt abwertet, aber ihn doch als eine Vorstufe zur Klarheit des Wissens betrachtet: „Die wile ich nü bekenntnisse hän und min wär wizzen aller dinge, waz ich ie geloubte, daz ist nü min wär bevinden“ (126, 36). Glaube ist das Verhältnis der Kreatur (des Nichts!) zu Gott, die selbst keine Gotteserfahrung hat, sondern die andere Erkennende erst darum fragen und sie von ihnen auf deren Autorität hin übernehmen, „glauben“ muß. Es beruht wohl auf der Einwirkung platonischer Gedanken, wenn Eckhart das Glauben mit dem „Dünken und Wähnen“ gleichordnet und es dem Wesen der Wahrheit gegenüberstellt‘”): In der Einheit mit Gott, so sagt er, „wirt ir (sc. der Seele) benommen dunken unde wenen unde glouben, wan si ist komen ze der wärheit, und swaz si vor

es) cf. IV 361,14 ff. Falls Eckhart den Timäus gekannt hat — in der

Predigt: Vas auri solidum (Geyer 50,5), wo er erwähnt wird, scheint die Kenntnis allerdings nur aus zweiter Quelle zu stam-

men — darf vielleicht verwiesen werden auf Tim. St. 29C, wo Plato sagt: „Wie sih zum Werden das Sein, so verhält sich zum Glauben (pisti) die Wahrheit“. Dem würde bei

Eckhart entsprechen: das Wissen der Kreatur (des Nichts, des Werdens) ist Glaube, Wahrsceinlichkeit; das Wissen der Seele (des Seins) ist Wahrheit.

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