Die Physiognomie des Menschen

durchaus nur physische Natur ihrer Grundbegriffe gar nicht zu sehen. Begriffe wie Kraft und Energie wurden behandelt, als ob sie auch außerhalb der seelischen Erfahrung von Widerstand und Widerstandsüberwinden einen Sinn hätten. Die Kategorien Einheit, Ursächlichkeit, Zeit wurden naiv verwendet, ohne daß man sich ihrer anthropomorphen Bedeutung bewußt ward, und jede über das vermeintliche Körperhafte hinausgehende Methodik wurde von den Physikern abgetan mit dem Ekelwörtchen Meta-physisch. Vollkommen verwirrend wurde der Kampf der physikalischen und der psychologischen Methode auf dem Grenzgebiet. Die Medizin als eine praktisch angewandte Naturwissenschaft ist ein solches Grenzgebiet zwischen Physik und Psychologie. Aber sie nähert sich der reinen Seelenforschung immer mehr, je weniger die Krankheiten, Abnormitäten und Störungen, für welche wir Heilung suchen, durch physikalische Methoden zu begreifen sind. Schließlich versagt die wissenschaftliche Arbeitsteilung und das Spezialistentum gänzlich vor jenen Erkrankungen der Gesamtseele, die wir vergeblich als Krankheiten des Gehirns zu begreifen versucht haben. Die Psychiatrie ist denn nun heute noch nicht viel mehr als ein endloses Register klinischer Bilder und Erfahrungen, grob signiert mit weitmaschigen Nomenklaturen und hochtrabenden griechisch-lateinischen Benennungen. Wir wissen es längst, daß wir durch Nervenschnitte und Mikroskopieren des Gehirns die Krankheiten des Seelenlebens nicht ergründen und stehen nach vielen Irrfahrten vor der banalen Erkenntnis, daß das Gehirn überhaupt nichts mit Seelenleben zu schaffen habe und daß die Störungen im Apparate der Regelung und Willkür von Vorgängen nichts zu schaffen haben mit Gesundheit und Krankheit dieser Vorgänge selber. Seit etwa 1900 ist ein sehr breites Schrifttum zur Seelenforschung von Medizinern ausgegangen.

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