Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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Es dürfte klar sein, daß heute jeder Sa Schulknabe lächeln kann über diese größten Seher und Weisen des Menschengeschlechts. Er weiß ja genau, daß die Sonne nicht ist ‚zwei Fuß breit‘ und daß sie etwas durchaus Anderes ist als „seinem Sinne es erscheint.“

Indessen sollten diese großen Seelen wirklich so unwissend gewesen sein? Ich glaube, was sie wider die Wahrheit der Wissenschaft verkünden wollten, das ist Dieses:

„Die Sonne ist zenau Das, was sieist. Lebe sie und Du kennst sie. Die Natur lügt nicht. Was kümmert mich, daß die Wirklichkeit des Wissens mir eine ganz andere Sonne erschließt als ie ein Auge sehen kann, als je ein Gefühl fühlen wird. Diese Sonne der Wissenschaft ist wohl wirklich. Aber sie kann immer nur gedacht und gefolgert werden. Ich aber halte mich an das Gelebte.“

Hier offenbart sich also klärlich eine doppelte ‚Wirklichkeit‘. Es wird offenbar, daß ich Wirklichkeit nicht einfach habe; daß ich nicht die Welt der Erfahrung einfach vorfinde, losgelöst von Apperzeption, d. h. ‚von Urteil und Werthaltung. Sondern: was ich wirklich nenne, ist Etwas, das auf mich wirkt und worauf ich gegen-wirke.

Somit kommt die Wirklichkeit zustande nie ohne mein Verhaiten. Sie ıst anders, wenn ich tuend; anders, wenn ich duldend mich verhalte. Die logisch-etische Einstellung ver-

mittelt mir eine andere Wirklichkeit als die ästetisch-religiöse Einstellung. Europa verhält sich wollend. Asien schauend. Europa steht tätig gegenüber. Asien tatlos darin.

Insofern ich nun bin der Mensch des ‚Kampfes ums Dasein’ ist Alles meine Wirklichkeit, woran ich mich stoße. Meine Wirklichkeit kommt hinaus auf Berührungs-, Richtungs- und Hemmungs-Empfindungen.

Ganz anders, wenn ich nicht innerlich ‚gerichtet‘ bin. Woiern ıch nicht bin gespannt (wachend, bewahrend, strebend, denkend, auffassend usw.), sondern bloß rhytmisch atmend und ahmend im Anschaun verweile, so ist allein vorhanden (wie für Pilanze, Tier .und Kind) eine augenblickliche gegenwärtige Vision: das durch mich hinflutende Leben unbefangener, unverkünstelter Sinne. Die starr festgestellte und dann auch fest stehende Wirklichkeit des Wissens habe ich dann nurnebenbei. Ich habe sie nur insoweit, als ich nicht nur ein Stück vom Lebendigem bin, sondern mich abscheidend,