Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

A. Die Kongreſſe. 99

gegeben. Der Zar, der von einer wahren Leidenſchaft für den Kampf gegen den Jakobinismus durchglüht war, ließ die Flämmchen zum lodernden Feuer aufblaſen. Metternich bejahte gemeſſen die Fragen ſeines franzöſiſchen Kollegen. Doch England führte die große Enttäuſchung von Verona. herbei. Caſtlereagh, den der öſterreichiſche Miniſter des Äußern ſein zweites Jch hieß, hatte ſich kurz vorher in einem Anfalle von Wahnſinn das Leben genommen. Jhm folgte Georg Canning, der zwar auch konſervativen Anſchauungen hul=digte, aber als Staatsmann von großem Zuſchnitte weder die kleinliche Angſt vor den Maſſen, noch die Furcht vor den geiſtigen Führern der Nationen kannte. Unter ſeinem Einfluſſe ſchlug die engliſche Regierung die Wege einer freiheitlichen Politik ein, und ſie betätigte ihre neue Auffaſſung ſchon während des Kongreſſes. Jm Auftrage des Londoner Kabinetts legte Wellington gegen die Knebelung der jungen Freiheit in Spanien -nachdrülichſt Proteſt ein, ſo daß die Kluft, durch die die Alliierten immer mehr getrennt werden ſollten, zum erſten Male recht deutlich ſichtbar wurde. Die Verlegenheit war nicht gering. Metternich wollte vorerſt Zeit gewinnen, doch der Zar ließ keine Ruhe. Am 19. November kamen Öſterreich, Preußen, Rußland und Frankreich überein, in Madrid gemeinſam vorzugehen. Man wollte der ſpaniſchen Regierung nahelegen, Reue zu bekennen ; geſchähe das nicht, dann ſollten die Geſandten abberufen werden. Außerdem unterzeichnete man ein Protokoll, das einem gegen Spanien gerichteten Geheimvertrage gleihkam. Als Wellington zu dieſen Entſcheidungen Stellung nehmen mußte, verweigerte er ſeine Unterſchrift kategoriſch und tat dies mit einer Schärfe der Sprache, die peinlich überraſchte. Die Scheidung Englands von den übrigen Alliierten war zur Tatſache geworden, ebenſo wie der Straffeldzug nah Spanien nahegerü>t ſchien. Montmorency hatte zwar ſeine Machtbefugnis überſchritten und ſeinen Kabinettschef Villèle in eine wenig beneidenswerte Lage verſet. Als jedoch das franzöſiſche Miniſterium des Äußern in dem Romantiker Chateaubriand ein neues Ober= haupt erhielt, gewann die Partei der Kriegsluſtigen in Frankreich nur an Stärke. Am 7. April 1823 überſchritten die erſten franzöſiſhen Truppen die Südgrenze; der Krieg gegen die ſpaniſche Demokratie begann. Er wurde im Namen jener Nation geführt, die Europa am lauteſten das Evangelium der Volksherrſchaft verkündet hatte.

Doch noch andere Unannehmlichkeiten mußte Metternich in Ve=rona erleben. Die drei ſpaniſchen Kolonien in Amerika, die ſih

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