Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

C. Das Fahr der “Umwälzungen. 115

Standpunkt vertreten worden, daß jede Erweiterung Rußlands nach dem Weſten hin von Übel ſei, und der Abfall der Polen vom Zarenreiche wäre an ſi<h als Vorteil empfunden worden. Auch ſonſt ſah es Metternich ganz gerne, daß die ruſſiſche Regierung in eine arge Bedrängnis geriet. Überdies unterhielt die polniſche Ariſtokratie zu den öſterreichiſchen Adelskreiſen ausgedehnte Beziehungen, und die Grafen und Fürſten, die vorerſt an der Spigze der Bewegung \tanden, konnten nicht gut mit den gewöhnlichen Rebellen in einen Topf geworfen werden. Allerdings gab es auch einen Haken. Für Galizien beſtand die Gefahr, daß der Aufſtand übergreifen werde. Doch ſchließli<h durfte man mit den rutheniſhen Bauern rechnen, die man als Gegengewicht zu benußen vermochte. Kurz: der Wiener Staatsfkanzler, der Schüßer der Reaktion, verhielt ſih gegenüber der polniſchen Revolution durchaus nicht ſo unbedingt ablehnend wie zum Beiſpiele die Regierung in Berlin. Man ſammelte wohl ein Armeekorps an der Grenze, man verbot die Waffenausfuhr und rief die übergelaufenen Untertanen dringend zurü>. Jm übrigen beſchränkte man ſi darauf, ſtrenge Neutralität zu bewahren; ja, an die Jntervention dachte man gar nicht. Der öſterreichiſche Konſul in Warſchau wurde nicht abberufen, ſondern ſtand vielmehr mit den revolutionären Machthabern auf gutem Fuße. An ihn wurde ſogar die Frage gerichtet, ob ſein Staat nicht Hilfe leiſten wollte, wenn die Krone Polens dem Erzherzoge Carl überlaſſen würde. Der Konſul meinte vorſichtig, Polen ſei zwar einem ſhönen und reihen Mädchen vergleichbar, indes, der Prozeß um die Erbſchaft ſei koſtſpielig und gewagt. Man ließ ſich alſo niht umgarnen. Fürſt Czartorisky, der in der proviſoriſchen polniſchen Regierung das große Wort führte, beauſtragte ſeinen in Wien lebenden Bruder mit Kaiſer Franz direkt zu verhandeln. Der Monarch dankte für das Vertrauen und empfahl im übrigen, daß die Polen mit dem Zaren verhandeln möchten. Metternich ſete allerdings den ruſſiſchen Botſchafter in Wien von den Bemühungen der Auſſtändiſchen in Kenntnis. Die Fäden wurden weiter geſponnen, aber ein dichtes Gewebe kam nicht zuſtande. Je günſtiger ſich das Schickſal der polniſchen Erhebung geſtaltete, und je ſtärker die demokratiſchen Tendenzen zum Vorſchein kamen, deſto zurüchaltender wurde man in Wien. Man gewährte zwar noch polniſchen Sendlingen Audienzen, ohne ſih jedoch zu irgendeiner vermittelnden Tätigkeit herzugeben. Als der Zuſammenbruch der Revolution immer näher rü>te, ließ Metternich der polniſchen Nationalregierung offiziell den Rat erteilen, mit der Unterwerfung nicht 8#