Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

I. Das Zeitalter der franzöſiſchen Revolution. 11

bei der zweiten Teilung Polens erlitten hatte, mußte gutgemacht werden. Thugut wollte die Grenzen ſeines Vaterlandes erweitern. Es gelang ihm auch, Preußen hinters Licht zu führen und den Vertrag vom 3. Januar 1795 zuſtande zu bringen, der die dritte Teilung des unglü>lichen Polen zum Jnhalte hatte. Rußland erhielt den Löwenanteil, während Öſterreich die Gebietsteile von Lublin, Chelm, Krakau und Sandomir zufielen. Der Reſt Polens ſollte für Preußen übrigbleiben, das von den Abmachungen erſt viele Monate ſpäter erfuhr. Rußland ſtimmte einem eventuellen Austauſche Belgiens gegen Bayern zu; im Falle eines Krieges mit der Türkei ſollte die Donaumonarchie durch eine Provinz des osmaniſchen Reiches entſchädigt werden. Der ſächſiſ<he Geſandte in St. Petersburg beurteilte den Umſchwung richtig, als er ſeinem Hofe meldete, die Kaiſerin Katharina habe ſi<h von Preußen abgewendet und mit Öſterreich verbunden, weil Kaiſer Franz der Sefundant ihrer orientaliſchen Politik ſein wolle. Thugut ſhwelgte in Wonne und vor allem in Schadenfreude. „Jm ganzen betrachte ih unſer Arrangement mit Rußland““ — \<hrieb der Miniſter — „als ein ſehr vorteilhaftes Ereignis; der König von Preußen findet ſich durchaus auf dieſelbe Weiſe ausgeſpielt, wie wir es vor zwei Jahren wurden.“

Einige Zeit nach dieſen Abmachungen vollzog ſich ein anderes wichtiges Geſchehnis. Jn der Nacht vom 5. auf den 6. April 1795 {hloß Preußen mit Frankreich in Baſel Frieden; der Staat, der zum Kriege gedrängt hatte, war des Kampfes müde geworden. Viel wurde über den Abfall Preußens vom Bündniſſe ſeither geſchrieben. War es ein Verrat am deutſchen Vaterlande? Die Loslöſung des Hohenzollernſtaates von der Allianz trug ſich wohl zu, ehe man in Berlin von dem öſterreichiſch-ruſſiſchen Schachzuge Kunde erhielt. Doch das nationale Moment iſ gegen Ende des vor=vorigen Fahrhunderts wenig berückſichtigt worden und ſogar das Intereſſe an dem Deutſchen Reiche war dem Verfla>ern nahe. - Jn Frankreich fand das Schre>ensregiment ein ſ{<hre>en8volles Ende, die Politik der Mäßigung kam wieder zum Durchbruche und die Republik war mithin bündnisfähig. Früher als Preußen hatte ſchon der Großherzog von Toskana mit Frankreich unbekümmert Frieden gemacht. Die Baſeler Vereinbarung zwiſchen dem Königreiche Preußen und der Republik war demnach kein Verrat, ſondern ein po PS tiſcher Fehler ®). i

1) K. Th. Heigel. Deutſche Geſchichte. Band 2.