Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

132 Neueſte Geſchichte, 1. Zeitraum.

ſen Patrioten, jedem Verſuche zu neuer Geſtaltung vorangehen, und da derſelbe ohne Hülfe der Franzoſen unmöglich geweſen wäre, ſo glaubten ſie, um dieſen Preis, von ihnen für den Augenbli> Manches ertragen zu können. Die Herrſchaft dieſer Fremden wurde, den Erfahrungen der Geſchichte gemäß, für vorübergehend gehalten, während die der einheimi= ſchen Regierungen keine Hofſnung auf Befreiung gewährte. So unwür= dig auch die Stellung der cisalpiniſchen Republik, als ein ſelbſtſtändiger Staat aufgefaßt, ſein mochte, ſo ſchien ihr Daſein den Anhängern des Neuen denno< der Anfang zu einer nationalen Wiederherſtellung zu ſein. Die raſche Folge bedeutender Ereigniſſe ſhmeichelte , ſelbſt wenn folche den Einzelnen Opfer auflegten, der Einbildungskraft einer Bevöl= kerung, die ſih, beſonders in Ober - und Mittelitalien, nie ganz an den trägen, ſhläfrigen Gang ihrer alten Regierungen gewöhnt hatte, und lieber von Sturm und Wogen hin - und hergeworfen , als für immer an die Scholle gefeſſelt ſein wollte.

Nächſt Venedig ſtand Rom, durch ſeine Einrichtungen und Sitten, dem übrigen Europa am Fernſten da, und beide Städte hatten, je na< der Seite ihres Daſeins, die in Betracht gezogen wurde, Bewunderung oder Tadel erregt, angezogen oder abgeſtoßen, aber immer für einzig in ihrer Art gegolten. Beide Städte ſtellten die ſich in dieſem Grade ſonſt nirgends wiederfindende Eigenthümlichkeit dar, daß in ihnen nur das Vergangene und Ideale groß erſchien, und einèn blendenden Schein über das Ganze warf, daß aber alles Gegenwärtige und Perſönliche den Eindru> des Sinkens und der Entartung hervorbrachte.

Rom vot die eigenthümliche Erſcheinung dar, daß ſein Oberhaupt, wie dex deutſche Kaiſer und die Dogen von Venedig und Genua, aus Wahl hervorgegangen , gleichwohl eine unumſchränkte Macht beſaß, und daß die bevorrechtete Klaſſe, die Geiſtlichkeit, dur ihre Herkunft allen Volksſchichten angehörig, eine durchaus geſonderte Stellung einnahm. Ungeachtet aller der modernen abſoluten Monarchie nahgeahmten For= men der römiſchen Negierung, ungeachtet einzelner feudaler Uezberlieferungen und ſtändiſcher Einrichtungen , herrſchte, im Innerſten dieſes Staatsweſens, auf der einen Seite das orientaliſche Verhältniß des Herrn zum Knecht, auf der anderen das Gefühl demokratiſcher Gleichheit vor. Der Kirchenſtaat wäre, nur ſein weltliches Element in Betracht gezogen, die unvollkommenſte politiſche Organiſation, welche es gab, geweſen, und würde, ohue den von der geiſtlichen Macht in ihn gelegten Schwerpunkt, auch ohne äußeren Angriſſ, aus innerer Zuſammenhangsloſigkeit , aus= zinander gefallen fein.