Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

172 Neueſte Geſchichte 1. Zeitraum.

gehörte überall zu den Anhängern des politiſchen Abſolutismus und religiöſen Fanatismus. Der Hof zog die unteren Volksklaſſen wegen dieſer Anhänglichkeit an das Alte an ſi, und ſuchte durch ſie die höheren und gebildeten Stände in Furcht zu halten. Ferdinand IV. bekümmerte ſi um Staatsgeſchäfte nur aus Neugierde oder zum Zeitvertreib. Es ging von ihm nie eine Entſcheidung aus. Andachtsübungen, Jagd und Fiſch= fang füllten ſeine Tage aus. Die Königin Marie Caroline, ihrem Ge-= mahl an Geiſt und Bildung bei Weitem überlegen, übte einen Alles überwiegenden Einfluß aus. Ihr Günſtling und Vertrauter war ein ehemaliger Schiffsarzt, in Frankreich geboren, aber von engliſcher Her= kunft, Namens Acton, der am neapolitaniſchen Hofe die Stelle des Frie= densfürſten in Spanien einnahm. Außerdem gehörte zu der vertrauteſten Geſellſchaft der Königin Lady Hamilton , Gemahlin des engliſchen Gez ſandten, die, in der unterſten Volksklaſſe geboren, in ihrer Jugend den verwerflichſten Lebenswandel geführt hatte, aber, mit großer Schönheit und ſeltenen natürlichen Anlagen verſehen, zu einer der erſten Stellen in der damaligen Geſellſ<haft emporgeklommen war. Acton und Lady Hamilton beſtärften die Königin in ihrer Abneigung gegen Frankreich, und wieſen ſie bei jeder Gelegenheit auf England, als den Hort unt Schirm aller von der Revolution Bedrohten, hin.

Schon als Nelſon von Toulon aus die franzöſiſche Expedition auf= ſuchte, waren in allen neapolitaniſchen Häfen Anſtalten, ſeine Flotte auf= zunehmen, und mit allem Nöthigen zu verſehen, getroffen worden. Die Nachricht von dem Siege der Engländer bei Abukir ward am neapolita= niſchen Hofe mit einer ſtürmiſchen Freude aufgenommen. Die Königin Marie Caroline wußte ſi< vor Wonne nicht zu laſſen, umarmte bald lachend, bald weinend, ihren Gemahl und ihre Kinder, und theilte Allen, welche ihr in den Weg kamen, die ſie beſeligende Botſchaft mit. Als end= li< der Sieger von Abukir ſelbſt vor Neapel erſchien, fuhren ihm der König und die Königin in einer feſtlih geſ<hmüdten Barke entgegen. Ferdinand TV. ſchenkte dem großen Seemanne einen koſtbaren Degen, und Marie Caroline einen Diamanten von ſeltener Schönheit. Die Hofdamen trugen Bänder und Gürtel, auf welchen: „Es lebe Nel= fon!“ — ſtand.

Obgleich der mit Deſterreih 1798 abgeſchloſſene Bundesvertrag nur auf Vertheidigung lautete, obglei<ß von Wien aus neuerdings zu Vorſicht gerathen worden , und der franzöſiſhe Geſandte eine drohende Sprache vernehmen ließ, ſo blieb dies Alles in Neapel unbeachtet. (Es ward ein allgemeines Aufgebot der waffenfähigen Mannſchaft von