Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Wiener Kongreß. 533

und politiſchen Princips geſ<wankt, mit dem Abſchluß deſſelben fing die Herrſchaft neuer ſtaatlicher Anſchauungen und Einrichtungen, die Epoche eines von dem früheren weſentli verſchiedenen Regierungsſyſtems und der damit zuſammenhängenden Inſtitutionen zu walten an. Die religiöſen Ideen des Mittelalters traten in den Hintergrund zurü> und cine rein

Y politiſche Aera begann. So geſ<wäct auc Deutſchland als Ganzes aus ſeinen langen inneren Kämpfen und deren Beendigung in dem genannten Vrieden hervorging, es war dies der unvermeidliche Preis ſeiner geiſtigen Befreiung geweſen, und durch die Beſiegung des theokratiſchen Princips der Aufgang einer neuen und beſſeren Zeit vorbereitet worden.

Obgleich die europäiſchen Staaten ſchon ſeit dem funfzehnten Jahr= hundert in mannigfaltige Berührung zu einander gekommen, ſo hatten ſie ſich do bis dahin nie zu einer allgemeinen Berathung über ihre gegenſeitigen Anfprüche, Forderungen und Intereſſen veranlaßt geſehen, weil die zu behandelnden Fragen nie allgemeiner Natur geweſen waren. Damit eine allgemeine Staatenverſammlung für nöthig era<htet wurde, dazu hatte das Erſcheinen eines neuen Princips, wie das der Refor= mation, gehört , von dem ſie alle berührt und in deſſen Kämpfe ſie alle hineingezogen geweſen. Hundert ſe<s und ſe<zig Jahre na< dem Kon= greß in Münſter trat eine ähnliche Verſammlung in Wien zuſammen, weil unterdeſſen ebenfalls eine Begebenheit von Alles umfaſſender Bedeutung, die franzöſiſche Revolution, ſi erhoben hatte. In Münſter war, ungeachtet der Wichtigkeit der politiſhen Verhandlungen , der erſte Anſtoß von den religiöſen Intereſſen ausgegangen; in Wien war, dem verwandelten Geiſte der Zeit gemäß, die Politik der einzige Hebel, der Alles in Bewegung ſeßte. Die Beſchlüſſe des Kongreſſes in Münſter ſind damals von der öffentlihen Meinung nicht beſtritten worden, und haben einen längeren Einfluß behauptet, weil ex in das Ende einer hiſtoriſchen Epoche fiel , und die folgenden Geſchlechter, weniger erregt, nur langſam einé neue Bahn zu ſuchen anfingen; das in Wien Vollbrachte dagegen ſollte in mehren ſeiner weſentlichſten Beſtimmungen ſehr bald angegriffen werden, weil die ganze eingetretene Veränderung im Grunde nur dur< den Sturz eines Eroberers und die Auflöſung ſeines Reiches entſtanden war, die übrige hiervon unabhängige Bewegung im Innern des Völkerlebens aber unaufhaltſam fortdauerte, und dem beabſichtigten Abſchluſſe entgegenſtrebte.

Noh nie hatte eine Stadt im modernen Europa eine ſo glänzende und zahlreihe Verſammlung hoher und ausgezeihneter Perſonen wie diesmal Wien geſehen. Auf manchen der früheren Reichstage, denen