Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

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934 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

die Kaiſer perſönli vorſtanden , hatte ſi wohl eine große Menge geiſtlicher und weltlicher Fürſten und Herren gezeigt, und die damals übliche Pracht entfaltet, aber es waren dies immer nur Vaſallen des Reichsoberhauptes geweſen, und andere unabhängige Fürſten nur ſelten, zufällig und vereinzelt dabei geſchen worden. Diesmal aber umſ{hloß dieſelbe Stadt die Kaiſer von Oeſterreich und Rußland, die Könige von Preußen, Bayern, Würtemberg, Dänemark, mehre Großherzöge, regierende Her= zöge, und viele andere Mitglieder ſouverainex Häuſer oder ſolcher, die es lange geweſen (die Mediatiſirten), und dazu die Geſandten und Bevollmächtigten aller europäiſchen Staaten, mit alleiniger Ausnahme der Türkei. Ungeachtet des von einer ſolchen Verſammlung unzertrennlichen Gepränges, und des, bei Anweſenheit ſo vieler zu den Verhandlungen ſelbſt niht zugezogenen, zum Theil jugendlichen Erſchei= uungen, unvermeidlichen Hanges zu Zerſtreuung und Luſtbarkeit, bewahrte das Ganze den Charakter eines hohen Ernſtes, ward eine unausgeſebte Thätigkeit entwidelt, und konnte ſich weder perſönliche Günſtlingsſchaft no< weiblicher Einfluß, und keine der damit verbundenen Schwächen geltend machen.

Der Kongreß ward wegen der zu ſo großen Arbeiten nöthigen Vorbereitungen ſpäter eröffnet, als es urſprünglih in Paris beſchloſſen worden. Erſt Anfang September (1814) waren die meiſten Bevollmäctigten und Geſandten der Mächte in Wien erſchienen, und erſt am 25. September hielten der Kaiſer Alexander von Rußland und der König Friedrich Wilhelm TTT. von Preußen , unter dem Jubel des Volkes und dem Entgegentommen des Kaiſers Franz und ſämmtlicher Prinzen ſeines Hauſes, ihren feierlihen Einzug in der öſterreichiſhen Hauptſtadt. Erſt von dem Eintreffen dieſer Monarchen an, die bei den bevorſtehenden Unterhandlungen über Gründung einer neuen Ordnung in Europa, eben ſo wie bei dem vorangegangenen Kriegswerk, beſonders betheiligt waren, konnte der Kongreß als eröffnet betrachtet werden.

Der vorherrſchende Einfluß gehörte natürli< den vier Mächten, Großbritanien, Rußland, Oeſterreich und Preußen, die den Kampf gegen Napoleon unternommen und glülih zu Ende geführt hatten. Indeſſen fam den Franzoſen, die ſi< zum erſten Mal, ſeitdem es ein europäiſches Staatenſyſtem giebt, in eine untergeordnete Stellung verſet ſahen , der Umſtand zu Statten, daß ihralter Königsſtamm wieder zurücgekehrt war, und ſie mit ihm gewiſſermaßen ein neues ſtaatliches Daſein anzufangen ſchienen. Es ward ihnen auf dieſe Weiſe möglich, ihre nächſte Vergangenheit in Rückſicht auf deren politiſche Wirkung abzuläugnen, während ſie