Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Engel beobachtete den Schauspieler auf der Bühne. Er sah ihn Ausdruck darstellen, wie ihn nicht nur der Charakter der dargestellten Person, sondern auch die lebendige Situation der Bühnenhandlung erforderte. In dieser Situation hatte er einen zweiten, wichtigen Faktor des Ausdrucks gefunden. Ist also der Ausdruck einerseits ein Zeichen, ein Anzeichen für das, was in der Seele eines Menschen vorgeht, so ist er anderseits ein solches Zeichen nur, insofern er zugleich eine aus der Situation heraus verständliche Handlung ist, selbst eine Teilhandlung innerhalb der großen, dramatisch bewegten Bühnenhandlung. Je nach der Einstellung der agierenden Person zu ihrer Umwelt wird auch der Ausdruck verschieden sein. Wir erkennen hier die erste Formulierung der uns nicht mehr fremden Ausdruckseinstellungen: der sympathischen Zuwendung, der Angriff-Abwehrstellung und der Fluchtstellung. Durch diesen glücklichen Griff ist uns Engel näher gerückt als alle bisher genannten Bahnbrecher der Ausdruckslehre: er ist der erste Ausdrucksphysiognomiker. Freilich, von der Inangriffnahme des Problems nach unserer Art, der systematischen Beschreibung und Deutung der Ausdruckszüge war Engel noch weit entfernt. Aber es mußten erst einmal diese Bezugswendungen, wie sie Bühler genannt hat, überhaupt unterschieden und festgestellt werden, ehe man darangehen konnte, nun an den einzelnen Gesichtspartien objektiv beschreibbare Kennzeichen für sie aufzufinden.

Theodor Piderit

Den ersten Schritt vom Verhalten zurück zur anatomischen Beschreibung der einzelnen Gesichtspartien vollzog Theodor Piderit, ein deutscher Arzt, und zwar wie Bell Arzt, Kunstkenner und Zeichner zugleich, Verfasser

34