Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

ben wird. Zahllos sind die Versuche und auch heute sind sie noch nicht ausgestorben, Systeme der Physiognomik in der Weise aufzustellen, daß man Ausdruck in Körpermerkmale hineinverlegt, wo er zumindest nur in sehr mittelbarem Sinne etwas zu suchen hat. Wenn jemand das Gesicht verzieht, so ist das sicherlich meistens ein Ausdruck der Gemütsbewegung. Aber schon wenn er Grimassen schneidet, ist dies keineswegs mehr so sicher; es kann sich auch nur um eine Spielerei handeln. Wenn ich von der „Heiterkeit“ des Morgens oder vom „düsteren“ Urwald spreche oder von der „lachenden“ Au, so ist das eine Übertragung meiner eigenen Seelenstimmung in die äußere Landschaft, die dadurch zum Symbol wird. Aber nicht viel anders ist dies in den meisten Fällen, wenn etwa von einer „Denkerstirn“ oder einer „naiven Stupsnase“ die Rede ist. Wo der Ausdruck nicht Handlung oder die Spur einer Handlung ist, da ist er auch nur scheinbar oder mittelbar Ausdruck. Wir wissen heute noch immer nicht recht, was eine lange und eine kurze Nase bedeutet. Was wir aber etwa davon wissen, gehört nicht in erster Linie dem Gebiet der Ausdruckslehre an, sondern einem ganz anderen, der Lehre von den Hormonen. Die kindliche Nase ist ein kurzes Stupsnäschen. In der Pubertät, wenn gewisse Drüsen mit innerer Sekretion ihre Funktion aufnehmen, besonders der Hirnanhang, gehen große Wachstumsveränderungen mit dem Menschen vor sich; insbesondere die hervorragenden Endglieder wachsen, die Hände und Füße, aber auch Kinn und Nase, Die Nase nimmt in der Pubertät, oft zu unliebsamer Überraschung ihres Trägers, ihre endgültige Form an. Weil zu gleicher Zeit die Geschlechtsdrüsen reifen, werden große Nase und Sinnlichkeit von der Volksbeobachtung nicht ganz unrichtig in einen symboli-

47