Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, S. 194
reits mit dieſen vollendeten Thatſachen, uiau begann die geeigneten Vorkehrungen zu treffen, um niht von der drohenden Kataſtrophe überraſcht zu werden. Es wurden den vor ungefähr zwei Monaten von der ſerbiſhen Grenze zurückgezogenen Truppen Ordre gegeben, ſi<h neuerli< bei Niſch (Niſſa) zuſammenzuziehen. Dies wurde mit der dur< die Umſtände gebotenen Eile bewerkſtelligt und hatten außerdem gegen 24 Bataillone Redifs, theils aus Syrien, theils aus den Küſtendiſtricten des Schwarzen Meeres Einberufungsbefehle behufs Verſtärkung des gegen Serbien aufzuſtellenden Armeecorps erhalten. Jm Ganzen wurden 40.000 Mann mit beiläufig achtzig Gehüben berufen, einem etwaigen erſten Anpralle von ſerbiſher Seite zu begegnen. Man vermuthete, daß Mahmud Paſcha und niht minder Raſchid Paſ <a, dann den Repräſentanten der energiſhen Handlungsweiſe, Huſſein Avni Paſcha und Midhat Paſcha Plaß machen müßten. Vielleicht glaubte man, daß dann Midhal Paſcha das große Pfortenſiegel (Großvezierat) und Huſſein Avni das Seraskierat unter gleichzeitiger Uebernahme des Obercommandos der Operation8-Armee gegen Serbien übernehmen dürften. Endlich war man überzeugt, daß, wenn mittlerweile damit fortgefahren würde, alle disponiblen Redifs und Baſchi-Bozuks unter die Fahnen
zu rufen, die Geſammtſtärke der türkiſchen Streit-
fräfte weit über 260.000 Mann betragen werde, eine Macht, welche genügend war, um Serbien, wenn es wirkli< die Luſt verſpürt hätte, die Rolle des Piemont des Orients ſpielen zu wollen, gebührend abzufertigen.
Jn Belgrad trat mittlerweile eine Miniſterkriſe ein und damit war man wieder in eine Aera des Zweifels und der Unſicherheit gefommen. Man durfte ſi< der Erwägung nicht verſchließen, daß bei der herrſchenden Stimmung in Serbien ein Miniſterium Riſtics keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehörte. Was aber ein ſol<hes Miniſterium zu bedeuten hatte, wußte Jedermann. Man war im fürſtlihen Konak zu Belgrad zwiſchen die Wahl geſtellt, mit den eigenen Unterthanen oder mit der Pforte in offenen Zwieſpalt zu kommen. Man ſcheute dort einen offenen Zuſammenſtoß mit den türkiſchen Streitkräften weniger als die Ausbrüche der gährenden Unzufriedenheit in der eigenen Bevölferung, von denen jeder Brief und jede Depeſche aus Serbien Zeugniß gab. Fn Kragujewaß mehrte ſih die Zahl der Verhafteten von Tag zu Tag. Zur Bewachung der Häftlinge mußte eine Ahtheilung der Garniſon dem Kreisgerichte zur Verfügung geſtellt werden. Nun wurden gar auh zwei Offiziere, der Artillerie-Capitain Lomitſ< und Lieutenant Milan Simonowitſ<, Beide vom Commando im Arſenalé von Kragujewat, in die dortige Communiſten-Affaire verwi>elt. Fn
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Losnigza hatten neueſtens anläßli<h der Gemeindewahlen glei<falls tumultuariſhe Scenen ſtattgefunden. Es war dabei niht ohne Blutvergießen hergegangen; es gab einen Todten und vier Verwundete. Unter ſo bewandten Umſtänden war es begreiflih, daß der junge Fürſt zu Entſchlüſſen gezwungen werden konnte, die er ſelbſt innerlih mißbilligen mochte und von denen ex wiſſen mußte, daß ſie den Beginn eines fur<hthar gefährlihen Abenteuers bedeuteten, daß ſie nicht nur ſeinen Thron, ſondern auh die Exiſtenz und die Zukunft Serbiens bloßſtellen könnten. Die europäiſche Diplomatie ſcheute zwar nicht die außerordentlihſten Anſtrengungen, um die der Ruhe der Balkan-Halbinſel drohende Gefahr abzuwenden, aber es ließ ſi< ni<t verkennen, daß angeſichts der ernſten Wendung der Dinge in Belgrad, die dur Leidenſchaft hervorgerufen, den Regeln der Denklehre ſpottete, eine Situation geſchaffen war, welche bedenklihe Momente barg. Zum Glü>e gähnte in Serbien zwiſhen dem Wollen und Können eine weite Kluft; denn das kleine Fürſtenthum war für einen ernſten Waffengang mit der Pforte nicht nur nicht gerüſtet, ſondern es fehlten ihm auch die Mittel, um eine anſehnlihe Truppenmacht auf den Kriegsfuß zu verſetzen.
Jm Großen und Ganzen machte jedo< der plöblih friſ<h erhobene Spektakel den Eindru>, als ob die ſerbiſche Regierung, in Kenntniß von der Geneigtheit der Pforte, ſi<h zu gewiſſen, wenngleih auh nur auf eine beſcheidene Gren zverbeſſerung ſi< beſchränkenden Zugeſtändniſſe an Montenegro herbeizulaſſen, die Gelegenheit für günſtig erachtete, au< ihrerſeits in Conſtantinopel Berückſichtigung einiger alten, bisher unbeachteten Forderungen durchzuſetzen.
An drei aufeinanderfolgenden Tagen hatten ſehr ernſte und bewegte Miniſterberathungen ſtattgefunden. Alle Welt wußte, um was es ih handelte. Die fremde Diplomatie ſette alle ihre Hebel ein, um übereilte Entſchließungen hintanzuhalten. Eines Tages gewann es den gegründeten Anſchein, daß ſi< in Folge der diplomatiſchen
«Einwirkungen Alles wieder zum Beſſeren wenden
ſollte. Am anderen Morgen hieß es aber wieder, daß die fürſtlihe Regierung beſchloſſen habe, einen Special-Geſandten nah Lonſtantinopel zu entſenden, welcher dort der Pforte einige bez ſtimmte Forderungen Serbiens zu unterbreiten haben werde, von deren Annahme dann erſt die weitere Geſtaltung der Sachlage abhängen würde, Zum Träger dieſer beſonderen Miſſion ſollte Riſtics auserſehen geweſen ſein.
Es war zwar unzweifelhaft, daß im illyriſchen Dreie>e Zündſtoff vorhanden war, um eine Welt in die Luft zu ſprengen, und es war anzunehmen, daß ſih <wärmeriſhe Naturen, Arten Nachfolger des Heroſtratus, daſelbſt genug fänden, die den
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