Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, S. 260
eine wahre Drachenſaat in Rumelien ausgeſtreut hatte, als ſie etwa 300000 aus Rußland vertriebene Tſcherkeſſen mit offenen Armen aufnahm und in Bulgarien, in der Dobrudſcha, Thracien, Macedonien, Theſſalien und Epirus vertheilt. Zu den früheren Schandthaten geſellte ſi< wieder ein neuer Frevel.
Eine Bande von fünfunddreißig Tſcherkeſſen und einigen Türken begab ſi<h na< dem Dorfe Tarſa, um die Tochter des dortigen griechiſchen Prieſters zu entführen ; da ſie aber weder den Prieſter noh ſeine Tochter fanden, ſo begnügten ſie ſih damit, die Kirchenthür zu erbrechen, im JFunern der Kirche Alles zu zerſchlagen und die Gold- und Silbergefäße mitzunehmen. Auf dem Rückwege trafen ſie einen Chriſten zu Pferde ; ſie nahmen ihm ſein Pferd und Alles, was er an und auf ſi< hatte, und ließen ihn na>t laufen. Auf ſeine Bemerkung, ſie hätten ihn ebenſo gut todtſhlagen können, ſprang einer der Tſcherkeſſen herbei und verſeßte ihm mit ſeinem Meſſer einen tödtlichen Hieb, worauf fie ihn liegen ließen. Von dort verfügten ſie ſi<h na< dem Dorfe Deli Jurus; der Geiſtliche war mit den Meßgeräthen nah einem bena<barten Dorſe geritten, um dort eine heilige Handlung vorzunehmen. Unterwegs begegnete ihm die Bande, welche ſich ſeines Pferdes und des Querſa>kes mit den Geräthen bemächtigte, den Prieſter durhprügelte und ihm den Mund fknebelte, worauf ſie ihn liegen ließ. Von einex Beſtrafung oder au<h nur einer Verfolgung dieſes Geſindels war bei den Türken ſelbſtverſtändlich keine Rede.
Ein anderer Tſcherkeſſe brachte in jener Zeit achtzig Pferde nah Tſchorlu (an der Ciſenbahn von Pera na<h Adrianopel) zum Verkauf; es waren lauter geſtohlene Pferde und mehrere Einwohner des Ortes erkannten - ſofort ihre geſtohlenen Thiere wieder. Sie wendeten fi<h an
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den Müdir (Amtmann), um die Verhaftung des Räubers zu erlangen. Wie groß aber war ihr Erſtaunen, als der Müdir ihnen mittheilte, daß der Tſcherkeſſe ein amtlihes, vom GeneralGouverneur von Adrianopel beglaubigtes Zeugniß vorgezeigt habe, worin erklärt wird, daß die achtzig Pferde re<htmäßiges Eigenthum des Vorzeigers ſind. Nunmehr beſhwerten ſi<h die Beſtohlenen bei dem Vali von Adrianopel, der ſie aber mit den Worten abfertigte: „Die Pferde find re<tmäßiges Eigenthum des Tſcherkeſſen, denn — er hat es mix ſelbſt geſagt“: — Das war denn doh zu arg, no<h einen ſol<hen Hohn anhören zu müſſen ; ſie proteſtirten ganz energiſch gegen ein folhes Verfahren, und ſo ließ der Vali ſi<h herbei zu dem „Verſprechen“, die Sache noh einmal genauer zu unterſuchen.
Ueber die haarſträubenden Gräuelthaten, welche ſih die Tſcherkeſſen zu Schulden kommen ließen, herrſchte daher allenthalben großer Fammer; die Bulgaren klagten über dieſe Unholde bitterli<h. Die {merzli<ſte Senſation erregte die Nachricht, daß die Tſcherkeſſen in der Kliſſura einhundertahtzig Shulkinder über die Klinge ſpringen ließen. Den Generalconſuln gegenüber äußerte ſi<h der Vali, A\ſim Paſcha, daß er ſolhe Vorfälle tief bedauere, aber niht im Stande ſei, die dur< die Schuld bulgariſcher Agitatoren (Wühler) entfeſſelten Leidenſchaften zu bändigen. Fn der That haben die Vehörden keine Macht über die Tſcherkeſſen, welche die eigentlihen Herren in Bulgarien geworden. Und ſo fand die Verſtimmung des bulgarihen Volkes in den immer mehr ſi< häufenden Greueln neue Nahrung; es loderte die Flamme des Aufruhrs fort, obglei<h man laut verkündet hatte, daß die Junſurrection längſt unterdrückt ſei.
Huſſein Avni, Raſchid und Walßmud Yaſcha.
Aus dem Leben der beiden ermordeten Miniſter Huſſein Avni und Raſchid Paſha mögen die nachſtehenden Daten gewiß von Jutereſſe ſein und gar Manches zur Aufhellung der Sachlage beitragen.
Huſſein Avni, einer der Haupturheber des Sturzes und des frühen Heimganges des unglüli<hen Abdul Aziz, war, wie bekannt, nur zu bald nah demſelben von der Bergeltung ereilt worden und weilte nun an der Seite ſeines ehemaligen Gebieters, Freundes und Wohlthäters im Reiche der Schatten. Mit ihm zugleih ward auch der edle und tüchtige Raſchid
Paſcha aus dem Leben geriſſen. Während man für dieſes Opfer einer brutalen Rache tiefes Mitleid fühlen muß, zwingt uns die Gerechtigkeit auszuſprechen, daß Huſſein Avni jedenfalls einer der undankbarſten Staatsmänner war, welche je eine Rolle im Türkiſchen Reiche geſpielt haben. Er hatte ſi<h von Abdul Aziz mit Ehrentiteln, Gunſtbezeigungen und fetten Stellen überhäufen laſſen, um dann demſelben das Diadem vom Haupte zu reißen und mittelbar oder unmittelbar zu deſſen frühzeitigem Ende beizutragen. Huſſein Avni Paſcha, der türkiſche Kriegsminiſter, der im vollen Miniſterrathe den Tod