Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, S. 330

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den Paſchas zweiten Ranges zwei derſelben vorgetragen. Veziers (Miniſter) und Paſcha erſten Ranges (Muſchirs und Commandanten) führen drei Roßſchweife, der Sultan deren ſe<s. Zuweilen" erhält aber au< der Großvezier (Staatsfanzler) das Recht, ſehs Roßſchweife ſi< vortragen zu laſſen; in dieſem Falle heißt er Veluti Montachs (Stellvertreter des Padiſhah) und da führt er den Sand-jak-esch-Scherif (Fahne des Profeten) mit ſich.

Ueber die Farbe dieſer Fahne herrſchen die verſchiedenſten Meinungen, keine derſelben iſt aber verläßlih, denn — fein Europäer getraute ih dieſelbe anzuſchauen, au< der engliſhe Schriftſteller, Herr Thornton, nicht, welcher in ſeinem Werke über die Türkei ausführliche Einzelheiten über dieſelbe veröffentlichte. Es iſ nämli<h NichtMuſelmanen bei Todesſtrafe verboten, dieſelbe anzuſehen, und dieſe Drohung ſhre>te auh Herrn Th ornton ab, ſein Auge auf ſie zu rihten, als ſie nach einer den Ruſſen im Krimkriege der Fünfziger-Fahre von den Türken beigebrachten Niederlage in den Straßen von Conſtantinopel herumgetragen wurde.

Die Fahne iſ etwa zwei Ellen breit und dritthalb Ellen lang, von dunkelgrüner (reſpective \{<wärzli<her) Farbe und war urſprüngli ein Thürvorhang im Schlafgemache A y eſ <a’s, der Lieblings8gattin des Profeten Mohammed. Als derſelbe ſterbend in dem Gemache lag und die in den Krieg ziehenden Feldherren ſi<h von ihm verabſchiedeten, wurde denſelben von ihm der Stoff als Krieg8fahne und Mahnung für die Gläubigen, daß es den Kampf für Gott und den Profeten gelte, geſchenkt. Seitdem wehte die Fahne immer den Khalifen in den Schlachten voran, doch wurde ſpäter beſtimmt, daß ſie nur in den wegen des Glaubens geführten Kriegen entfaltet werden ſolle.

Die thatſächlihe Geſchichte dieſes Vorhanges iſt eine hö<ſſt eigenthümliche.

Zu den erbittertſten Gegnern des Profeten Mohammed und ſeiner Lehren gehörten auch die Juden in Chaibar, einer Daſe im Weſten von Medina und nur drei Tagereiſen von dieſer Stadt entfernt, die ſi<h rühmten, und auch ſriftli<h na<hweiſen wollten daß ſie Abkömmlinge der Familie des jüdiſchen Geſeßgebers Moſes ſeien, und die daher feſt an ihrem alten Glauben hingen. Dieſe Juden bildeten eine Art „theokratiſcher Republik“ (Herrſchaft der Prieſter als Diener Gottes) und wurden von einem Collegium, beſtehend aus drei Rabbinern (Sche<h) und zweien Abkömmlingen des hohen Prieſters Aaron (Kohanim) regiert. Die Hauptſtadt dieſer Oaſe hieß ebenfalls Chaibar, die aber ſeit ihrer Zerſtörung dur den Profeten in Trümmern liegt. Mohammed rüſtete ein Heer gegen dieſe Juden

aus und eroberte au< ihre Hauptſtadt, wobei einer der Vorgeſeßten derſelben ſeinen Tod fand.

Bald nach ſeinem Einzuge in dieſer Stadt machte Mohammed die Bekanntſchaft mit der Schweſter jenes gefallenen Vorgeſetzten, deren Name Zeinub lautete und die eine außerordentlihe Schönheit war. Mohammed, von glühender Leidenſchaft für ſie ergriffen, zwang ſie, in ſeinen Harem einzuziehen. Die ſ{öne und kluge cFüdin, die dem Profeten wegen ihres gefallenen Bruders grollte, ließ ſi< dem -Anſcheine nach die Liebeshuldigungen desſelben gefallen, ſebte ihm aber bald darauf einen vergifteten Braten vor, an dem der Profet ſoglei<h tödtlih erkrankte, und die Nachwirkungen des Giftes führten auh wirklih ſpäter ſeinen Tod herbei.

Die \{<öne Jüdin wurde auf Befehl M ohammed’s enthauptet und erlitt die Strafe mit heroiſcher Seelenruhe. Fhr Zelt und ihre Kleidungsſtüce ſchenkte der Profet ſeiner Lieblingsgattin Ayeſha, die von dem Zelte dieſer Jüdin den Vorhang vor dem Eingange abtrennte und denſelben dann als Vorhang zu ihrem eigenen Zelte benüßte. Es iſt dabei zu bemerken, daß es damals bei den Arabern Gebrau<h war, aus irgend einem Kleidungsſtü>ke der Frau nah der Hochzeitsnacht einen Zeltvorhang zu machen, was als eine beſondere Ehre für die junge Frau galt. Wäre es alſo der Fall, daß die heutige angebliche Fahne des Profeten wirklih die ete ſein ſollte (was ſtarf bezweifelt wird), dann würde deren jüdiſ<hex Urſprung gar niht hinwegzuleugnen ſein.

Der Nachfolger des Profeten nun, der zuerſt den Titel Khalif (Nachfolger) führte, der bekannte

„Abu Bekr (Vater der Jungfrau) — derſelbe

war nämlich in ſeiner Jugend Geſchäſtstheilnehmer eines jüdiſchen Kaufmanns in der Stadt Mekka, gab dann ſeine Tochter Ayeſha dem Profeten zur Frau, daher auh ſein arabiſher Name benüßte zuerſt dieſe Fahne, um die Gläubigen dur< deren Anbli> für den heiligen Krieg zu entflammen, worin ihm ſeine Thronfolger auh nachahmten. Dieſe Fahne führte ſpäter der arabiſche Feldherr Chalid, der im Jahre 711 für den Khalifen Walid die Eroberung Fndiens unternahm, na< dieſem Lande mit und ließ ſie an den Ufern des Fndus wehen. Unter den ſpäteren Khalifen, die no< immer in Bagdad reſidirten, gerieth die Fahne gänzli<h in Vergeſſenheit, ſo daß, als 1258 die Mongolen dieſe Stadt eroberten, von einer Entfaltung der Fahne des Profeten gar keine Rede war.

Erſt ſpäter finden wir dieſe Reliquie in Egypten wieder, - und zwar ſoll fie ein Beherrſcher dieſes Landes von einem Abkömmlinge des Khalifenhauſes in Bagdad zum Geſchenke erhalten. haben. Fm Fahre 1517 brachte dann Selim der Erſte, der Egypten erobert und dem dortigen

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