Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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die eiſernen Würfel rollen mögen, wem auch \<ließli< Victoria die Siegespalme reichen, wie ſih auch ſchließli< ſeine Schi>ſale und jene ſeiner tapfern Armee geſtalten möchten, das eine wußte man jeßt ſhon: ſeine Thaten füllen mit goldenen Buchſtaben ein Ehrenblatt in der Geſchichte ſeines

Vaterlandes, dem ſein Name für alle Zeiten angehört. Sehr intereſſant iſt die Skizze, die ein

Franzoſe von ihm entwirft :

Osman Paſcha iſt von Mittelgröße, von athletiſhen Formen, ein- Herkules mit allen harafteriſtiſhen Umriſſen dieſes Repräſentanten höchſter körperlicher Kraft, den kurzen Stierna>en, den mächtigen Schultern, den ſtrammen, dien Beinen, im Ganzen eine unterſeßte handfeſte Geſtalt, der Typus jener Künſtler, die Athleten genannt, auf Kraftausſtellung reiſen. Die Franzoſen ſagen ſprihwörtlih: „Stark wie ein Türke!“ Nun, Osman Paſcha iſt ſtark wie „Zwei“ Türken. — Sein Kopf iſ ſuperb; die Züge ſind nichts weniger als fein, aber regelmäßig und angenehm“ in ihrer Derbheit. Ein no< wenig in’s Graue ſpielender lo>erer Vollbart umrahmt dieſes Geſicht, aus dem eine ſi verleugnende Ruhe, Ernſt und Entſchloſſenheit, aber auh Milde und etwas Jronie ſprehen. Seine Augen ſind groß und weit geöffnet, die Pupille von heller grün-gelber leu<htender Farbe, mit großer Fris (Ring um den Augapfel), dadurh der lauernde niederſ<metternde Bli> des Löwen, ſowie ein Bli>, der im Zorne nur verſteinern und bei Güte nur verzaubern kann.

Des Marſchalls Uniform iſt faum eine fold zu nennen; ex trägt eine Jaquette (Baucrnjake) mit breitem Revers von dunklem Tuche, darunter cine lange Weſte im Style Ludwig's des Fünfzehnten von demſelben Stoffe, ſowie von demſelben Tuche ſtramm an den muskulöſen Beinen anliegende Hoſen, die in beſpornten Stiefeln einmünden, welche nur bis unterhalb der Knieſcheibe reichen. Der türkiſche Fez ſißt ihm martialiſ< auf dem Hinterhaupte, ſo daß über der mittelhohen Stirne die Haarbüſchel hervorſtehen; ein Bleiſtift ſte>t fortwährend zu ſeiner Verfügung anſtatt hinter dem Ohr vor demſelben, unter dem Fez, aus welchem er hervorgu>t. Er ſchnallt nie im Lager den Säbel um ; dagegen hängt ihm immer das Futteral, ſein Marine-Augenglas enthaltend, über den Schultern. Schon in ſeiner Kleidung iſ er eine ſeltene Erſcheinung unter den türfiſhen Generalen, denn nihts ſ{<lottert ihm, Alles ſitt ſtramm, jedes Stü iſ ſauber und fortwährend wie neu, und neben dieſer Einfachheit zeigt ſi< Eleganz und Koketterie. Man ſieht ihn ſogar man<hmal in Hemdärmeln mit einem feinen Unterkamiſol von dunkelblauer Seide. Steht er vor ſeinem Zelte und- lugt in die Ferne, eine Cigarette rauchend oder Befehle ertheilend, ſo iſt

Zimmermann, Geſh. des orient. Krieges.

jede ſeiner’ Stellungen ſ{ön, ohne geſu<ht zu ſein; er iſ ‘immer, was der Künſtler nennt „auf einem Handbein“, ſein Torſo (Rumpf) „ruht in der Hüfte“ ; wie man im Atelier zu ſagen pflegt. So iſt der Mann, ſo ſchaut er aus!

Europäer würden glauben, ihm ein Compliment zu machen, indem ſie ſagen: „Er iſ ganz wie ein prächtiger, martialiſher deutſ<her oder \ranzöſiſher Offizier“, und würden die Schlußfolgerung ziehen: „Der hat im Ausland ſeine Schule gemacht!“ Aber nein, das hat er nie; er hat ſi< ſelbſt gemacht, und man mache ihm ſein Compliment dafür, denn Osman Paſcha iſ der türkiſcheſte unter den Türken, hat keine beſondere Vorliebe für die Europäer in der Türkei, fann die Correſpondenten im Lager nicht leiden, es wäre denn, ſie gingen in's Feuer und ſkizzirten. Osman iſ gewiß kein Fanatiker, aber er iſt fromm; man hat ihn nie ſein Gebet in gut mohammedaniſcher Weiſe verrihten ſehen, aber man weiß es: er betet. — Er iſt einſilbig, unterhält ſi< faſt nie mit Femandem ; ſeine Offiziere lauern auf ſeinen Ruf, erhalten einen Befehl, geben eine Ausfunft und ziehen ſi< in den Hintergrund. Er iſt ein „großer Schweiger“ wie Moltke; er iſt ein coloſſaler Arbeiter, hat immer zu thun und {<läft — faſt nie. Man ſieht, er iſ ein merkwürdiger Mann. Energiſch, eiſenfeſt, ſelbſtſtändig, entſ<hloſſen, nah feinem Rath fragend, iſt er aber dennoch ein Gipfel von Beſcheidenheit, ſeines eigenen Werthes niht bewußt und ſeine Thaten unterſhäßend. Schlachtenberichte (Kriegsbulletins) fennt ex niht; mit drei Worten berichtet er na< Conſtantinopel; ex beſchreibt nicht ſeine Thaten, er meldet nur lafkoniſ<h das Reſultat; die vergangene Minute wird der Vergeſſenheit übergeben, nur die bevorſtehende beſchäftigt ihn.

Aus dieſen Schilderungen des nun viel gefeierten Feldherrn mag ſih erklären, warum über dieſen ausgezeihnetſten der türkiſchen Heerführer bisher ſo wenig bekannt geworden. Biographen giebt es no< niht in der Türkei und ein Selbſtbiograph zu werden, wird ODSman Paſcha der Allerletzte ſein. :

Ein Engländer ſagt wieder über ihn:

Osman Paſcha lebt niht ſo {<welgeriſ{<, wie manche ſeiner Collegen, die ein koſtbares Mahl mit: feinen Cigareiten zum Nachtiſch für unentbehrli<h halten. Einem ſeiner Offiziere bedeutete er: „Laßt uns ſo leben, wie unſere Truppen zu leben gezwungen find; wenn ſie kein Fleiſh zu ihrem Reis haben, müſſen wir uns. ebenfalls ohne Fleiſh behelfen. Was der gemeine Mann vertragen kann, das können au<h wir.“ Solche Aeußerungen, die niht verſchwiegen blieben, hatten ihm das Herz ſeiner Truppen ſo gewonnen, daß ſie jedes Opfer für ihn zu bringen bereit

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