Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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ſißt uud dieſe dur< keine Schulzucht, durch kein civiliſatoriſhes Joh beengten Stämme leiſten in militäriſher Beziehung das Außerordentlichſte. Der Name „El Ghazi“ leuchtet auf und vergeſſen ſind die civiliſatoriſhen Beſtrebungen, denen die Türkei ihre Kräfte widmen wollte.
Jn Europa hat das Nationalitätenprincip eine ſtaatenbildende Kraft entwi>elt, hat den edelſten Wetteifer unter den Völkern erzeugt, hat aber auh. mannigfahe Vorurtheile hervorgerufen. Unter ſolhen Umſtänden iſt kein Plaß mehr für die Fremden in der Türkei; ſie können geduldet werden, aber -ſie dürfen ſi<h nicht ſ<meiceln, einen herrſchenden Einfluß auszuüben.
Der Sturz Mehemed Ali's lehrt, daß die ſiegreiche Türkei auf Europa nicht viel Rückſicht zu nehmen gedachte. Ueberall iſ der Feldherr den Schickſalslaunen aus8geſeßzt. Die Nebenbuhlerſchaften in der Armee ſind nirgends ganz zu beſeitigen. Bei ‘einem Mißerfolge iſ es ſ{<wer, dur eine Unterſuhung feſtzuſtellen, inwieweit den Feldherrn ſelber ein Verſchulden trit; und doch iſt der Ruhm, ja die Ehre eines ganzen Lebens oft an eine einzige Schlacht gebunden. Der Feldherr kann vor die Oeffentlichkeit treten, um ſi< zu re<tfertigen; ſ{<weigend muß er den Marſchalls\ſtab abgeben, wenn das Glück ihm ſeine Gunſt entzieht. Fn der Türkei iſ aber auh der Feldherr nur der Sclave des Sultans ; ein ungnädiger Wink des Sultans iſt ein Verdammungsurtheil, gegen das feine Appellation denkbar iſt.
Den erſten Anlaß des Sturzes Mehemed Ali's gaben ſeine Conſtantinopler Feinde, indem ſie ihm vorwarfen, den Vorſtoß durch die Dobrudſcha bis zur ruſſiſ<hen Communicationslinie unterlaſſen zu haben. Weiters wurde er beſhuldigt, einen energiſhen Offenſivſtoß gegen die ruſſiſhe Stellung in Tiruowa nicht aus8geführt und dadur<h dem Großfürſten-Thronfolger Zeit gelaſſen zu haben, ſi< zu verſtärken. Jumitten dieſes Futriguen-Gewebes kam aber eine Meldung Os8man Paſchas, die den Ausſchlag gab. Dieſer machte dem Seraskierat bekannt, daß trot aller Siege und der Bravour ſeiner Truppen ſeine Stellung in Plewna auf die Länge unhaltbar wäre, wenn niht vor dem Einbruche des Winters einerſeits ein Angriff auf die Jantra-Linie mit bedeutenden Kräften unternommen, andererſeits der größte Theil der Armee Suleiman Paſchas, ſtatt Schipka anzugreifen, ſi<h na< Orhanie wenden und dort mit den Abtheilungen Schefket Paſchas eine Entſab - Armee bilden würde, welche ihm die Behauptung ſeiner Stellung in Plewna erxmöglichen fönnte. Hierauf wurde Os8man Paſcha der Titel eines Serdar Ekrem (Generaliſſimus) und die oberſte Führung der Operationen angeboten. Ex antwortete aber,
daß ſein Plaß in Plèwna wäre, und dbezeihnete Sulciman Paſcha als den einzigen General, wel<her Energie genug beſäße, um den Offenſivſtoß der Oſt-Armee zu leiten.
Hierauf wurde der Wechſel in dem Commando beſchloſſen und tro aller Bemühungen MahmudDamatPaſchas vollzogen. Aber die Ernennung Suleiman's ward in aller Stille geſchehen. Mehemed Ali hatte keine Ahnung von dem, was man ſeinethalben beſh<loſſen, ja er traf Anſtalten, um die früher begangene Unterlaſſungsſünde gut zu machen und, über Stro>o marſchirend, ſi< mit ſeiner Armee zwiſchen Biela und die Fantra-Mündung einzukeilen. Er | verſammelte deshalb die Corps8- und DiviſionsCommandanten in Fovan Ciſftli> und theilte ihnen die von ihm getroffenen Dispoſitionen mit, wobei indeß Achmed Ejub ganz offen dem Marſchall erklärte, daß er aus dem Grunde diesmal dem von ihm gegebenen Befehle niht Folge leiſten könne, weil — er geheime Befehle von Conſtantinopel habe, vorläufig nichts zu unternehmen. Die Nachricht traf den Marſhall wie ein Donnerſhlag; ſhon wollte er energiſhe Maßregeln nehmen und Ahmed Ejub mit Gewalt zum Gehorſam zwingen, als eine Depeſche von Suleiman aus Eski-Djuma eintraf, welche in tro>enen Worten anzeigte, daß ihn der Sultan bereits am 1. October zum Serdar ernannt und gleichzeitig die Abſchung und ſofortige Rücberufung Mehemed Ali's decretirt habe. Gleichzeitig erhielt er vom Sultan den telegraphiſhen Befehl, ſofort das Lager zu verlaſſen und fi<h na< Conſtantinopel zu begeben. Tief gebeugt von dem Undank ſeines Monarchen, empört über das ekle Intriguenſpiel der ihm untergeordneten Generale, verließ der Marſchall ſofort das Hauptquartier, fam tief in der Naht, zu Tode ermattet, im Cairkföi an, nur von ſeinem Flügeladjutanten Husny Bey (Stiefſohn Mehemed Ali's) und einigen Reitern der Stabswache und der polnihen Legion begleitet.
Nach einer kurzen Raſt ſete Mehemed Ali ſeine Reiſe fort, do< in Tiſancia wurde ihm Meldung erſtattet, daß Suleiman Paſcha bereits in Turlak angelangt ſei und dort eine Unterredung mit ihm wünſche. Fn einem Bulgarenhauſe des ſtattlihen Dorfes fand die Begegnung der beiden Männer ſtatt. Mehemed Ali ſette ſcinen Nachfolger über das Stärkeverhältniß der ihm bis Dato untergeſtellt geweſenen Armee, über die Fähigkeiten der Untergenecräle, endlich über ſeine Pläne und Abſichten genau in Kenntniß und beſhwor ſcließli< Suleiman Paſha, ſi< ja niht dur<h die Dari - Choura zu einem Frontangriff gegen Biela verleiten zu laſſen. Suleiman ſeinerſeits gab Mehemed Ali bereitwiſligſt die ge-