In jedes Menschen Gesichte steht seine Geschichte : Lehrbuch der Physiognomie : mit 140 Abbildungen

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die hohe, vorgewölbte Stirn, wie man früher den Heiligen ihren Heiligenjhein gab. Se länger die Zeit wird, die feit dem Tode eines berühmten Mannes verftrichen ift, je weniger Widerjprud) von üiberlebenden Zeitgenofjen dagegen eingemwendet werden fann, defto höher wird auf feinen Bildern die Stirn und wädjt im Laufe der Zeit bis an die Höhe des Wajjerkopfes." Die leßte Befürchtung ift feit der ungeheuren Verbreitung der Photographie hinfällig, weil fein Berühmter der Nachwelt mehr entgehen fann. In taufend Stellungen und taufend Situationen wird er gefnipjt umd fein naturgetreues Bild Jahrtaufenden bewahrt.

Das Vorurteil von der hohen Stirn bedeutender Männer wurde auch durch frühzeitigen Haarverluft am Vorderhaupt hervorgerufen. Am häufigiten fällt das Haar bei Berfonen aus, deren Gehirn durch intellektuelle Arbeiten oder dur den Einfluß von Leidenfhaften ftarf in Unfprucd genommen ift. Goethe, Schopenhauer und au Napoleon dienen Hier als mujtergültige Bemweije. yjm täglichen Leben finden wir diefe Erjheinung bei Großinduftriellen, Bankdireftoren, Bauunternehmern ujm. Wer nun vom Schädelbau feine Ahnung hat, fieht die Fahle Fläche in ihrer ganzen Größe als Stimm an und von vorne betrachtet fann man jid) da leicht täufchen. So ruft unfer Bild auf der nädjten Seite den Eindrud hervor, als hätte Darwin eine furdtbar hohe Stirn. Der gleiche Ausdrud wird erzielt, wenn eine photographijche Aufnahme bei nad) vorne geneigten Kopfe erfolgt. Ein weit verbreitetes Bild Maximilian Hardens demonjtriert dieje optijche Täufchung, ebenfo die fchiefe Kopfhaltung Bismards auf Seite 17. Betrachten wir aber aufmerffam das Goethebild und große Neproduftionen des Schopenhauerjchen Bildes, jo jehen wir, wie der Schädel über der Stirnregion hinaus fi abfladıt. Denten wir uns bis dahin die Stirn mit Haaren bededt, dann haben wir die relativ hohe Stirn, die in Verbindung mit den Bejonderheiten ihrer Form als der Ausdrud von bedeutenden piyhiihen Qualitäten zu betrachten fein wird. Auf unferen Bildern fonımt das nicht genügend zum Ausdrud.

Leben erhält diejes lesbare Zifferblatt der Geijtestätte aber nicht vom fnöchernen Grundbau, von den Winkeln, Wölbungen, Höhen: und Breitenmaß, jondern von den be-