Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

188 V. Ausbreitung der Hermetischen Literatur.

baren Zusammenhang eine Erscheinung wie Philon erklären müssen, ist gewiß eine Binsenwahrheit, aber wohl selten voll gewürdigt. Wohl trennt ihn eine tiefe Kluft von jenen Magiern einerseits, von Romanschreibern wie Artapanos andererseits; dennoch ist er ihnen verwandt. Wenn er Moses als Noüc teXeıoc bezeichnet (De agrie. 312 M.) oder ihn bei seiner Rückkehr zu Gott zum Novc Aıoeıdectatoc werden läßt (Wit. Mos. III p. 179 M.), so gleicht er ihn damit ebenso dem ägyptischen Thot an wie Artapanos oder der Verfasser des VII. Buches ‚Mosis. Von semer Logos-Lehre habe ich S. 41ff. gesprochen. Wir dürfen, auch wenn wir uns mühen, bei ihm ein einheitliches System zu finden, nie vergessen, daß Philon in erster Linie Apologet ist, und daß der Apologet den Gedankeninhalt, den er in der Überlieferung seines Glaubens wiederfinden will, zunächst von der umgebenden Welt empfängt. Es sind in Wahrheit die Grundgedanken der ägyptisch-griechischen Mystik, die Philon mit wunderbarem Geschick in die Überlieferung seines Volkes hineinzulesen versteht; sie werden mit Virtuosenkunst bald so, bald so gewendet, wie es dem augenblicklichen Zweck und der augenblicklichen Stimmung entspricht; immer sind sie zugleich jüdische Offenbarung. Daß Philon sich dabei als Prophet, und zwar als Prophet im Sinne jener ägyptischgriechischen Mystik fühlt, wird uns später noch beschäftigen. Aber schon jetzt dürfen wir betonen, daß die Verfasser Hermetischer Schriften seine Kollegen, die Erfinder jener Zaubergebete und Sprüche niedere Genossen desselben Standes sind. Daß es nicht an Nachfolgern fehlte, auch solchen, die das Christentum nicht in den allgemeinen Ausgleichsprozeß mit hineinzogen, sondern nur die ägyptisch-griechische Mystik mit dem Judentum verbanden, lehren die Zauberpapyri und lehrt die Entwieklung z. B. der Poimandresgemeinde. Wir dürfen, seit wir das Fortwirken dieser Mystik bis ins späte Mittelalter erwiesen haben, für ihre Arbeit einen viel weiteren Spielraum annehmen, als man ihn bisher voraussetzen zu dürfen wähnte. Sollte sich von hier aus die Entwieklung der jüdischen Mystik vielleicht leichter begreifen lassen? Das Eigentümliche an ihr ist ja, daß es sich offenbar nicht um eine einmalige Entlehnung und unabhängige Ausgestaltung einiger in hellenistischer Zeit empfangener Ideen handelt, sondern daß die Übereinstimmungen mit ägyptischen und besonders mit Hermetischen Vorstellungen im Laufe der Jahrhunderte immer stärker werden. Das weist m. E. auf einen lang an-

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