Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

Umgestaltung des Poimandres in der Gemeinde. 213

Eine fortwirkende Offenbarung, welche die Gemeinde allmählich umgestaltet hat, wird hier vorausgesetzt.

Es scheint mir klar, daß jene Umgestaltung der PoimandresSchrift sich in der Gemeinde vollzogen hat. Eine gewisse Parallele bietet die Erweiterung des Aö’roc teAeioc, wie er uns in der lateinischen Fassung vorliegt. Der Anlaß ist deutlich; der Gott mußte die Bedrängnis, in welche die Gemeinde im Laufe des IV. Jahrhunderts geriet, schon vorausgesagt haben; an einzelne aus allgemeinstem Empfinden hervorgegangene en) setzten sich nun bestimmte Prophezeiungen an. Die Parallele hierzu bieten die eschatologischen Reden Christa, wie zu den Erweiterungen des Poimandres etwa die Anfügung der Kindheitsgeschiehte oder der Sprüche, in denen Christus bei den Synoptikern die Missionspredigt in aller Welt befiehlt. Beide Vergleichungen treffen freilich nieht ganz zu; rein stilistische Änderungen wie im Poimandres $ 11 zeigen, daß ker Schriften viel stärkeren Änderungen ausgesetzt sind, daß ihre Haupttexte gegenüber unmittelbaren Gottesworten wie uuzdvecde Ev auenceı oder 6 vorjcac EuUTOv eic auröy xwpei oder den pwvoi des Poimandres doch auch mehr den Charakter schriftstellerischer Leistungen tragen, an denen jeder neue Prophet ändern und modeln kann. Der Charakter der Schrift als Offenbarung schließt ihre literarische Behandlung nicht aus.) Noch stärker wird diese naturgemäß bei den philosophischen Darlegungen oder bei der eigentlichen Predigt hervorgetreten sein. ®)

1) Wie etwa Schrift IX (X) 4.

2) Die Übertragung einer jüdischen Apokalypse ins Christliche — ein Vorgang, der ja für die Apokalypse des Johannes nach dem Urteil bester Kenner erwiesen scheint — läßt sich einigermaßen mit der Übertragung der “Avßpwroc-Lehre ins Ägyptische durch den Verfasser des Poimandres vergleichen. Weiter ab steht die Anpassung der heidnischen Naassener-Predigt an das Christentum.

3) Auch im Christentum bildet die mündliche oder schriftliche Predigt ja lange Zeit eine Art „Gotteswort zweiter Klasse“. Einen letzten Nachhall dieser Auffassung bietet die reizende Auseinandersetzung Augustins (De doctr. christ. IV 29, 62. 30, 63), auf die ich beiläufig einmal aufmerksam machen möchte. Man streitet, ob die Predigt geistiges Eigentum ist oder „weitergepredigt“ werden darf. Augustin, welcher den Geistlichen, die eine schöne Stimme, aber sonst geringe Gaben haben, sogar befiehlt, fremde Predigten auswendig zu lernen, sucht dies gerade durch die Inspirationslehre zu verteidigen: der Prediger darf unbedenklich nehmen, was er findet, Denn die Predigt ist immer Gottes Wort, und an dem kann ein frommer Mann keinen Diebstahl begehen Es ist allen zu eigen,