Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

Schlußwort. 249

daß ein flüchtiger Leser den Eindruck erhalten könnte, ich wollte die Entstehung des Gnostizismus ganz nach Ägypten verlegen. Meine Absicht war gerade, jedem Versuch, ihn aus nur einer Quelle herzuleiten, entgegenzutreten. Wenn wir z. B. die chaldäischen Orakel mit den Hermetischen Schriften vergleichen, finden sich in Sprache und Gedanken manche Übereinstimmungen, aber der mythologische Kern ist ein verschiedener. Daß wir diesen mythologischen Kern der gnostischen Systeme nicht übersehen dürfen, lehrt besonders die Inschrift von London. Es handelt sich zunächst um die Ausgestaltung geoffenbarter Religionen, und Propheten, nicht Philosophen reden zu uns. Was sie uns bieten, ist oft aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt, oft wohl auch nach der Zusammensetzung wieder in andere Zusammenhänge hineingearbeitet. Was die verschiedenen Bestandteile ursprünglich sich näherte, war die allmähliche Ausgleichung der religiösen Vorstellungen im Osten. Wann sie begann, ist noch kaum zu sagen. Daß schon das Perserreich mit seiner weisen Duldung aller Volksreligionen, mit dem Verpflanzen größerer Volksmassen von der Peripherie in das Innere des Reiches und der Ansiedelung starker Garnisonen, z.B. in Agypten, sie mächtig fördern mußte, ist wohl klar. Entscheidend aber ist, daß auf verschiedenen Gebieten die mythologischen Gestalten bereits begonnen hatten, sich in begriffliche umzusetzen. Das ist für Ägypten wohl ohne weiteres klar; für Persien dürfen wir es ebenfalls annehmen); für Babylonien weist das allmähliche einseitige Vortreten der Planetengötter auf eine ähnliche Entwicklung. Die Übertragung dieser religiösen Vorstellungen in die einheitliche Formelsprache und Begriffswelt

1) Vgl. Plutarch De Is. et Os. 47: 6 uev ’RpoudZnc &k To0 kadapwrdrou püouc, 6 5° "Apeıudvioc &k TOD Zöpov Yerovibc moAeloücıv AaAANAoıc" Kal 6 UEV EE Beouc &moince, TÖv Ev mpWtov ebvolac, tov de deutepov dAnBelac, Töv de zplrov ebvoulac, TÜV dE Aoımlv TöV uev coplac, Töv de mAolTou, TöV de tWv emi Toic KaAoic Ndewv dnuioupyöv, 6 de Touroıc Ühcrep dvrirexvouc icouc TOV apıduov. Es ist gewiß willkürlich, wenn Bousset (a. a. O. 490) hiernach die Perser zu Erfindern der Hypostasenlehre macht, aber noch willkürlicher wäre es, die ganze Zurückführung der Götter auf Begriffe dem deutenden Griechen zuzuweisen. Hat Bousset recht, mit der Gottheit der Weisheit die Spenta Armaiti zu identifizieren, die ursprünglich Erdgöttin, dann Hüterin des Ackerbaus und aller Kultur, schließlich Göttin der Weisheit geworden sei, so bietet diese Göttin ein so eigentümliches Gegenbild zu Isis, daß man unwillkürlich an eine direkte Beeinflussung Persiens durch Ägypten denkt.