Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur
Schlüsse für Hermas und Poimandres. 35
gelernt hat und von ihr beeinflußt später zum Christentum übergetreten ist.')
Aber auch wenn wir nur an eine rein literarische Einwirkung denken, ergibt sich uns ein eigentümliches, der Beachtung wohl wertes Bild. Der christliche Autor benutzt für die Hinkleidung seiner Lehrschrift ebenso unbefangen heidnische Vorlagen wie später der Verfasser des christlichen Clemens-Romanes oder die Erfinder apokrypher npafeıc eines Apostels. Das widerspricht allerdings den Vorstellungen, die sich z. B. Zahn von diesem „Manne aus dem Volke“ machte, bei dem literarische Einflüsse unmöglich seien und der eben seiner geringen Bildung halber seine Visionen natürlich wirklich so geschaut haben müsse. Ich will um die tendenziöse Übertreibung, die in der Bezeichnung „Mann aus dem Volke“ liegt, nicht rechten; das ganze Argument ist hier genau so verfehlt wie in jener anderen Frage, in deren Behandlung es traditionell geworden scheint. Aus der geringeren Bildung des Schreibers folgt die volle Unabhängigkeit von literarischen Vorbildern nicht, sondern zunächst nur, daß wir die Vorbilder in den niederen Schichten der Literatur suchen und in der Regel ihnen gegenüber eine größere Unselbständigkeit voraussetzen müssen.) Die Zusammenhänge der frühchristlichen Literatur mit der hellenistischen Kleinliteratur ließen sich schon jetzt in vielen Stücken nachweisen. —
Der Poimandres berichtet die Erweckung des Propheten, welcher die Gemeinde gegründet hat, und die Hauptlehren, auf welche sie gegründet ist. Ist er in Ägypten entstanden, wie ich in den nächsten beiden Kapiteln näher zu erweisen hoffe, so mußte immerhin eine gewisse Zeit vergehen, ehe er durch Mitglieder dieser Gemeinde oder durch literarische Verbreitung in Rom bekannt werden konnte, und die ganze Art dieser Literatur mußte jedenfalls schon Macht gewonnen haben. Diese Erwägung bestätigt die allgemeinen Angaben über die
1) Daß derartige Entwicklungen in dieser Zeit vorkamen, zeigt ja die oben (8. 33 A. 3) erwähnte Gemeinde, die Christus unter dem Symbol des Phallus verehrte. Minucius wird ihre Schilderung bei Fronto gefunden haben.
2) Der unlängst von Cotteril und Taylor (Journal of Phiology XXVU und XX VII) unternommene Versuch, Kebes als Hauptquelle des Hermas nachzuweisen, ist in dieser Form freilich gescheitert. Aber die mivakec finden sich, wie wir sehen werden, auch in der hellenistischen populären Theologie. Es ist an sich nieht unmöglich, daß auch derartige Tagesliteratur auf die ausgearbeiteten Visionen mit einwirkte.
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