Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

Vorrede.

Was ich im folgenden zu bieten habe, ist Arbeit auf einem Grenzgebiet zwischen Philologie und Theologie. Ich habe sie als rein philologische betrachtet und hoffentlich auch behandelt. Bildung und Wirkung einiger religiöser Gedanken des Hellenismus — so nenne ich die Verschmelzung griechischen und orientalischen Geisteslebens — möchte ich verfolgen und glaube, daß wir das nur in Ägypten können. Liegen uns doch hier nicht nur aus allen Epochen der vorgriechischen Zeit religiöse Urkunden vor, deren Gesamtumfang schon jetzt dem des Alten Testamentes wenig nachstehen mag, sondern neben ihnen auch eine reiche Fülle griechisch geschriebener Texte, eine hellenistische theologische Literatur. Daß sie noch nicht im Zusammenhang philologisch behandelt ist, erklärt und entschuldigt die vollständige Geringschätzigkeit, die ihr von theologischer Seite zu teil wird, und die grotesken Begründungen, mit denen eine Berücksichtigung der hellenistisch-ägyptischen Religion abgelehnt zu werden pflest. Liest man doch neuerdings bei einem namhaften Theologen sogar die Behauptung, der ägyptische Gottesdienst sei von allen Seiten, jüdischer wie griechischer, als die tiefste Stufe menschlichen Aberglaubens verachtet worden.

Der Philologe hat, weil er weiß, daß die ägyptische Religion sich über die ganze hellenistische Welt verbreitet hat, die Pflicht zu fragen, was sie lehrte und wie sie beschaffen war. Er hat sie um so mehr, als er von vornherein annehmen muß, daß gerade Ägypten die Bildung des Hellenismus auf religiösem Gebiet am stärksten beeinflußt hat. Man vergegenwärtige sich einmal, wie viel Schriftsteller ägyptische Religion in griechischer Sprache dargestellt haben, wie viel Stellen der uns erhaltenen griechischen Literatur von ägyptischem Glauben reden, wie wenig von babylonischem, persischem oder gar syrischem. Gewiß