Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
Von Theodor Winkler. 203
fich um gewiſſe Korreſpondenzen handelte, welche der Na= tionalverſammlung zur Prüfung vorgelegt wurden , voll Entrüſtung: „Wie konnte man zux Kenntniß dieſer Schriften gelangen? Nur dur< Verleßung des Briefgeheimniſſes. Das iſt ein Verbrechen gegen die öffentliche Sittlichkeit.“ Man ſieht, die Grundſäße ſchwankten wie das Rohr im Winde. Schon am 9. Mai 1793 hob der Konvent das Geſch wieder auf, wona<h Brieferbre<hungen zu beſtrafen ſeien, und ließ alle an Emigrixte gerichteten Schreiben im Hotel der Kommune öffnen. Später fand man wieder das Gegentheil für zwedentſprechend, und der Konvent beſtimmte am 9. Dezember 1794: „Das Briefſgeheimniß darf in Fnneren der Republik nicht verleßt werden und die über die Verwaltung der Poſten gemachten Bemerkungen werden dem Transport-Comité zugewieſen.“ Judeß bei der Un=ordnung der damaligen Zuſtände fand au<h das wenig Berücfſichtigung, und ein zur Poſt gegebener Brief war ebenſowenig vor fremden Händen ſicher wie zuvor.
Auch unter Napoleon Bonaparte ließ der Unfug nicht nah. Zwar hatte dexſelbe bei Antritt ſeines erſten Kon= ſulats die Brieferbre<hungen duxch ein Schreiben des Finanz= miniſters Gaudin an den Poſtfkommiſſär öffentlich rügen ſaſſen, allein in dex Folge ſorgte ex ſelbſt dafür, daß das ſchwarze Kabinet wieder in's Leben trat, und er begnügte ſich nicht damit, deſſen Thätigkeit auf Paris zu beſchränken, ſondern dehnte das Verfahren auch auf die übrigen von ihm unterjochten Staaten Europas aus. So ließ z. B. der Generalintendant Napoleon's, Bignon, im Jahre 1806 zu Berlin tägli<h gegen zweitauſend Briefe öſſnen, wozu