Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Kriminal-Novelle von E. H. v. Dedenroth. 145

Aber nein, der Bote hatte geſagt, der Herx, der ihm das Billet gegeben, ſei ganz munter geweſen und in die Pferde= bahn geſtiegen. Der Argwohn war berechtigt, daß Franz ſie rüdſihtslos behandelte, und das fonnte er nux wagen, wenn er den Entſchluß gefaßt, ihx Joch abzuſchütteln. Oft genug hatte er damit gedroht, hatte ex ihr geſagt, er exrtrage dieſes Leben nicht, er verde es ändern. Machte ex heute Ernſt damit?

Seine Handlungsweiſe war grauſam, herzlos, barbariſ<h. Ex fannte ihren hilfloſen Zuſtand. Wollte ex ſein Hausweſen ändern, ſo mußte er das vorher mit ihr beſprechen, ſie vorbereiten, für ihre Exiſtenz ſorgen. Jx= gend Jemand hatte ihn aufgeheßt, ihx dieſen Streich zu ſpielen. 2

Sie malte ſi<h das Bild ihrer Zukunft aus, wenn Franz ſie ſih ſelber überließ. Sie hatte kein Vermödgen. Was Franz beſaß, hatte ex ſich erworben ; trennte ex ſich von ihr, ſo durfte ſie ihm niht einmal Haß zeigen, ſie war auf ſeine Almoſen angewieſen. Ja, Almoſen, denn ſo lange ſie ihm den Haushalt führte, gebührte ihr das Brod, das ex ihr gab. Sie fluchte dem Schickſal, das ſie franf und elend und abhängig gemacht, unendliche Bitter= feit erfüllte fie gegen den Bruder, der ihr jeht plößlich zeigte, daß er der Herr ſei.

Jhre erregte Phantaſie ſtellte ihr alle Möglichkeiten vor. Franz war rei, war geſund, er konnte noh eine Frau finden, na<h ſeinem Erbe trachtete vielleicht eine Intrigantin, die ihn in ihx Neb gelo>t. Eine hinterliſtige Kofette hatte ihn vielleicht ſchon ſeit langer Zeit bearbeitet,

Bibliothek. Fahrg. 1884. Bd, VI, 10