Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

Novelle von C. Wild. 115

fie jeht daſtand in dem leichten weißen Peignoir, deſſen weit zurüfallende Aermel ihre flaſſiſh geformten Arme entblößten, wie fie eine der ſchweren, goldig-rothen Flechten in beiden Händen hielt, bot ſie ein reizendes Bild.

Die junge Dame war ſich ihrer Schönheit au<h wohl bewußt, wax doch dieſe Schönheit das einzige Gut, das fie beſaß , und ſie ſollte ihr dazu verhelfen, eine reiche, vornehme Frau zu werden.

Bei den Worten ihrer Mutter glitt ein flüchtiges Lächeln über ihre friſchen, roſigen Züge.

3a, ſie hatte es auch bemerkt, daß ſie auf ihren Couſin einen tiefen Eindru> gemacht hatte, und ſie wollte dieſen Eindru> zu einem bleibenden geſtalten, denn Norbert v. Rohnegg war reich, ſehr reich.

„Wix wollen das Weitere abwarten ,“ ſagte ſie als Antwort auf die Bemerkung der Generalin; „ſei Du nur flug, Mama, und verdirb mix nicht mein Spiel.“

Sie wandte ſich zu dem Spiegel zurü> und befeſtigte ihre ſchönen Flechten kronenartig über der weißen glatten Stirn. Dann ordnete ſie noch raſch die kleinen, zierlichen Stirnlöchen, und nach “einem kurzen, prüfenden Ueber= blide nidte ſie befriedigt ihrem Spiegelbilde zu.

Die Generalin ro< heimlih an ihrem Flacon und ſah dex Tochter zu, die ihre volle, herrliche Geſtalt in ein einfaches, lichtes Scmmertleid hüllte.

„Aſt Deine Toilette nicht gar zu einfah?“ frug? ſie ſchüchtern. „Eine Generalstochter — und dieſes dünne Fähnchen, faum mit ein paar armſeligen Schleifen verz ziert, ein Kleid, wie es jede Krämerstochter haben kann.“