Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

122 Jn leßter Stunde.

Die Generalin wollte wie gewöhnlich in einen Wort= \<wall ausbrechen, aber ein Blik ihrer Tochter hielt ſie noh re<tzeitig zurü>; ſie begnügte ſi<h damit, ihren Neffen anzulächeln und mit liſpelnder Stimme zu ſagen: „Wir haben Dich doh nicht warten laſſen, lieber Norbert ?“

Herr v, Rohnegg erwiederte einige höfliche Worte, während ſein Auge wie feſtgebannt an der blendend ſchönen Erſcheinung ſeiner Couſine hing.

Ex führte die Damen in den luftigen, einfah, aber gediegen möblirten Speiſeſaal, und bat ſeine Tante, den Play einzunehmen, welchen ſeine gute Mutter früher innegehabt.

Mit einem wahren Hochgefühle ließ ſich die Generalin auf dem Siße der Hausfrau nieder, die neue Würde erfüllte ſie mit einer Chrfurcht gegen ſi ſelbſt, und Meline unterdrücte nux mit Mühe ein Lächeln, als ſie ſah, wie ſteif und geſpreizt ſich ihre Mutter benahm, um LaS über= nommenen Stellung gerecht zu werden.

Ein kleines exquiſites Souper ward ſervirt, und troß ihrer angegriffenen Nerven ſprach die Generalin den auf= getragenen Speiſen tapfer zu, ſo gut hatte ſie ſchon lange nicht ſoupirt.

Meline unterhielt ſi<h heiter und lebhaft mit ihrem Couſin; wenn ſie ſich von ihm unbeobachtet wußte, dann muſterte ſie ihn mit ſcharfen, prüfenden Bli>en, um zu ergründen, weß Geiſtes Kind ex ſei.

Herr v. Rohnegg war groß und kräftig gebaut; die Hüge ſeines tiefgebräunten Geſichtes waren niht unſchön, und der dunkelblonde, leicht gekräuſelte Vollbart verlieh