Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

154 ; In lebter Stunde.

ſah — 0, dieſe Augen hatte er Tag und Nacht vor ſich, an ſie gedachte er zu jeder Stunde, und doh hatte ex kein Recht dazu, keines, keines!

Das geduldig neben ſeinem Herrn ſtehende Roß begann leiſe zu wiehern, als wolle es ihn mahnen, zur Wirklichz eit, zu ſeinen Pflichten zurü>zukehren.

Rohnegg fuhr auf und ſtrich ſich das wirre Haar aus der Stirn.

„Nur keine Feigheit,“ murmelte er, „ih will und ih muß dieſe Leidenſchaft bezwingen |“

9.

Zwei Tage ſpäter wurde Meline mit Norbert v. Rohn= egg ehelich verbunden.

Meline war eine ſehr ſ<höne Braut, deren Liebreiz von allen Anweſenden laut bewundert wurde. Sie ſah pracht= voll aus in dem langen, ſhleppenden Atlaßkleide, deſſen blendende Weiße ihren zarten Teint noh mehr hervorhob.

Veber den gleich flüſſigem Golde exſtrahlenden Flechten lag der koſtbare Spibenſchleier wie ein duftiger Hauch gebreitet, und in dem dunklen Grün der Myxrtenkrone funkelten einzelne Brillantſterne.

“Der werthvolle Shmu> war Rohnegg'ſches Familien= eigenthum, und Norbert hatte denſelben am Vorabende des Hochzeitêtages ſeiner Braut übergeben.

Meline hatte der Verſuchung nicht widerſtehen können, ſi mit den blißenden Steinen zu ſhmüden; ſie hatte nie= mals Diamanten beſeſſen, und deren Funkeln und Leuchten übte eine ‘wahrhaft fascinirende Wirkung auf ſie aus.