Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

Novelle von E. Wild. ; 157

Jebt klopfte cs leiſe an die Thüre.

„Ich bin bereit,“ rief Meline mit klarer Stimme.

Rohnegg trat langſam über die Schwelle. „Der Wagen wartet, Meſline.“

„So laß uns gehen; i<h habe ſhon vorhin von Mama Abſchied genommen.“

Ex bot ihr ſ{<hweigend den Arm und führte ſie hinab.

Als Meline in den Wagen ſticg, warf ſie no< einen flüchtigen Bli> zu den hell exleuchteten Fenſtern empor.

Dort oben weilte er, der Einzige, der ein wärmeres Empfinden in ihrer Seele wachgerufen, und ſie mußte jeßt fort, hinaus an der Seite des Mannes, der für ſie nur das Mittel zum Zwecte war.

Aber ſie hatte kein Recht, ſich zu beklagen. Sie ſelbſt hatte es ja ſo gewollt.

Mehr als zwei Jahre waren vergangen, ſeit Meline Nohnegg’s Gattin geworden war. Es war eine unglück= liche Ehe, blos dur ein loſes Band zuſammengehalten, und die ſchöne junge Frau locerte täglich mehr an demſelben. Um ihre Kälte Norbert gegenüber zu entſchuldigen, halte ſie ihm ſchon drei Tage nah der Hochzeit geſagt, daß ſie auf Ada eiferſüchtig ſei, und dex in ſeinem Jnnexrſten getroffene Mann hatte alles Mögliche verſucht, um ſeine Gattin über dieſen Punkt zu beruhigen,

Ex fühlte ſich ſchuldig und deshalb war ex doppelt nachſichtig gegen ſie, gegen ihre immer mehr zu Tage tretenden Fehler und Eigenheiten,