Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

Novelle von E. Wild. 163

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So war endlich der gefürchtete Tag herangekommen, und die reiche Erbin zählte. nux no< na< Stunden die Zeit ihrer Freiheit.

Die Trauung ſollte am Vormittage ſtattfinden, damit das junge Paar no< den Zug erreichen konnte, der um zwölf Uhr die etwa eine Stunde entfernte Station paſſirte.

Ada hatte ſich nac einer ſchlafloſen Nacht zeitig erhoben und wax in den Garten gegangen.

Sie ſah bleich und verweint aus, aber der feſte Zug um die zuſammengepreßten Lippen bewies, daß es ihr im entſcheidenden Augenbli>e niht an Muth fehlen würde, ihre Faſſung aufrecht zu erhalten.

Es wax ein herrlicher Junimorgen , Heiter und glän=zend ſtieg die Sonne am wolfenloſen Himmel empor, und ihre blibenden Strahlen ſaugten gierig die lezten Lhau= tropfen von den duftenden Roſen auf, die erſriſht nah dem nächtlichen Schlummer ihre Kelche dem werdenden Tage öffneten. :

Ada blieb tief aufſeufzend ſtehen; ſie betrachtete mit einem langen, traurigen Blicke die kunſtvoll angelegten, im üppigſten Flore prangenden Beete, die kühlen Schatten ſpendenden Boskets, die ſauber gehaltenen Wege, die in zierlichen Schlangenwindungen hin und her führten, den fleinen Teich, auf deſſen Oberfläche ſich ſtolz ein Schwanen= paar wiegte, und das zwiſchen hohen Väumen ſi<h erhebende ſtattlihe Schloß, deſſen Herrin ſie genannt wurde.