Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.
98 Dex Talisman des Weibes.
bin ih niht geflohen, vor Tante Käthe's Korrektionshaus floh ih in findiſcher Furcht.“ Was jeßt noh folgte, fonnte die warmherzige Frau nux mit bang verhaltenem Athem vernehmen. Dreyſing ſprah niht mehr laut, er flüſterte tief bewegt und ſto>end, denn er ſchilderte den jähen zerſchmetternden Sturz von der Höhe der Kraft und Herrlichkeit in die Tiefe ewiger Nacht und Hilfloſigkeit. Vor dem Wort blind ſto>te ſeine Zunge, aber der zit=" ternde Angſtſchrei, welcher Tante Käthe's Lippen entfloh, bewies, daß ſie das Schre>klichſte errathen. Bleich, die Hände in einander gepreßt, das Haupt geneigt, um welches der ſchwarze Trauexflor ſich langſam wie eine dunkle Wolke ſenkte, ſaß ſie Minuten. lang.
Es dauerte geraume Zeit, bevor ſie ſih von ihrer Er= ſchütterung erholt hatte. Als es geſchehen war, faßte fie Dreyſing's Hand und flüſterte: „Weiter [“
„Was ſoll ih Jhnen weiter ſagen !“ rief der alte Herx, ſelbſt von Neuem bis in die Tiefen ſeiner Seele exgriſfen. „Es glaubte Niemand an Jrmengard's Verluſt, ſo lange das heſtige Fieber andauerte, welches die ver= zweifelnde Angſt und eine ſtarke Erkältung ihr zugezogen, man war der Ueberzeugung, daß eine Sinnestäuſchung, ein eingebildeter Nervenxeiz dieſe immer wviederkehrenden Paroxysmen herbeiführe, bis der erſte ruhige Moment die grauenvolle Wahrheit beſtätigte. Da brach das junge, Hoffnungsvolle Leben in Frmengard zuſammen. Den Ausbrüchen ungezügelter Leidenſchaft folgte Ruhe, aber die ſtumpfſinnige, brütende, verzehrende Ruhe, welche mich mit namenloſer Sorge erfüllt.“