Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

164 Wegen Meineids.

“Je habe nichts mehr zu thun in der Welt da draußett, “ war ihre müde Antwort. „Laßt mich nur allein! Wenn ih Dich ſehe, fühle ih doppelt, daß ih todt bin, lebendig todt !“

Keine Thräne brachte ihr Erleichterung, kein Schlaf fam, außer dur narkotiſche Mittel, welche der Gefängniß= arzt verordnete und die ſie willig nahm. Abgemagert zum Skelett, exſchien ſie bleich, theilnahmlos im Gerichts-= faal.

Das Bild dieſes zuſammengebrochenen jungen Menſchen= lebens flößte Allen Mitleid ein; die ſie einſt gekannt hatten, weinten. Und als ſie dann plößli<h dieſe Thränen ſah, geweint um ſie, als ſie ihren bi8herigen Herrn, den Photo= graphen, unter den Zeugen erkannte, wie auch er ſein Tuch an die Augen führte, da fuhr ein Beben durch ihre Ge= ſtalt, ein langſam aufſteigendes tiefes Roth ergoß ſih über ihr Antliß, ihren Hals, und ſie barg ihr Geſicht {lu<zend in den weißen ſ{hlanken Händen.

Die Verhandlung nahm ihren Lauf. Einer gemäßigten “Anklage des Staat3anwalts folgte die glänzende Ver= theidigungsrede Vogtner's. Elſe Mühlbrandt's ganzes chreniverthes Leben, der treuen Arbeit und Pflichterfüllung gewidmet, ſprach für ſie; die Zeugenausſagen enthielten nur Lob und Anerkennung, die Aneignung der elenden Libenſtreifen, die im Kehricht verfommen wären, machte das ganze Verbrechen der Angeklagten aus, bis zu dem unſeligen Tage, da die furchtbare Scham, die Angſt, der Mutter Schre>en und Kummer zu verurſachen, die Zukunt des Bruders zu gefährden ſie das „Nein!“ ſprechen ließ.