Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

Novelle von L. Haidhein. 165

Sie hatte keine Zeit zur Ueberlegung gehabt; der Jmpuls ſiegte! Das ehrliche Mädchen, die gute, liebevolle Tochter hatte, eh’ fie es bedachte, einen Meineid geſ<woren. Und nun folgte der Appell an die Geſchworenen. Als Vogtner die Tribüne verließ, hatte ex Elſe Mühlbrandt zu einer Märtyrerin geſtempelt und das Vorgehen des Kaufmann Reinert in den Augen aller Zuhörer gebrandmarkt.

Abex die Thatſache des Meineids hatte er nicht weg= leugnen können, nux Milderungsgründe konnte er zur Geltung bringen.

Georg Reinert war nicht erſchienen, Niemand kannte ſeinen Aufenthaltsort, ſeine Eltern waren in ſchwerer Sorge um ihn. ö

In der Anklage hatte es geheißen, Elſe habe ein Liebes8= verhältniß mit ihm gehabt; da ereignete es ſich, daß eine Männexrſtimme aus dem Publikum rief: „Das iſt nicht wahr! J< kann meine Ausſage beſ<hwören.“

Und welches Aufſehen, als man den reichen Neurath, den alle Welt kannte, dort groß und breitſpurig ſtehen ſah, roth bis unter das Haar werdend unter all” den auf ihn ſi richtenden Bli>en, aber ſichtbar entſchloſſen, ſoz fort ſich befragen zu laſſen, wenn man es wünſchte!

Der Präſident ſpra<h ein paar Worte mit den bei= ſißenden Näthen, dann mit dem Vexrtheidiger; zulebt lehnte er das Zeugniß des Herrn Neurath ab, es ſei dieſe Thatſache niht von weiterem Belang für die Vertheidigung.

Dex dicke Herr ſeßte ſich, no<h rxöther werdend, aber es that ihm ſehr wohl, zu hören, wie hie und da ein leiſes Bravo zu ihm herüber klang.